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Eine nicht ganz ernst gemeinte Geschichte (Satire)

Die Klagemauer in Jerusalem.
Im Hintergrund: Der Felsendom.

Von Uri Ben Shalom

1. April. Es ist stockfinstere Nacht. „Irgendwo auf dem Land im Kanton Thurgau“, erscheint als Untertitel in weisser Schrift. Die Kamera ist auf eine abgelegene Hütte gerichtet, in der Licht brennt. Schnitt. Die Kamera befindet sich jetzt ca. 3 m vor dem Fenster. Es sind Stimmen aus der Hütte zu hören. Plötzlich eine laute Frauenstimme: „Du bist wahnsinnig, Erwin!“ Schnitt. Jetzt befindet sich die Kamera im Inneren der Hütte. Man sieht VgT-Mitglieder mit ihrem Präsidenten Erwin Kessler bei einer (geheimen) Versammlung. Es ist Dora H., die sich in den vergangenen Jahren gerade durch ihren Mut und Einsatz im VgT auszeichnete, die Opposition gegen Erwin Kessler macht. Man hört Kessler, wie er kompromisslos kontert: „Gut, dann löse ich halt den VgT auf und ziehe die Sache allein durch…“.

Heimkehr in der Nacht
Szenenwechsel. Kessler kommt morgens um halb drei in sein Haus in Tuttwil. Mit leisen Schritten geht er ins Schlafzimmer im 1. Stock. Er will seine Frau Heidi nicht wecken. Diese ist jedoch (aus Sorge) wach, tut jedoch so, als ob sie schliefe. Kessler gibt ihr einen sanften Kuss und legt sich dann auf seine Seite, wo er bald darauf einschläft. Die Kamera zeigt später, wie Heidi aufsteht und zum Fenster geht. Man sieht eine zierliche Frauengestalt in weissem, langen Nachthemd, die in die dunkle Nacht hinausschaut. Ein Moment der totalen Sensibilität. (Der Kinobesucher fühlt sich selbst in dieses Schlafzimmer versetzt. Die Frauen fühlen mit Frau Heidi).

Flughafen Kloten
Szenenwechsel: Nächster Morgen. Kessler befindet sich auf dem Flughafen Kloten. Passkontrolle. Der Beamte schaut in Kesslers Pass: Name: Kessel; Vorname: Gershon; Beruf: Bauingenieur. Es ist ein israelischer Pass. „Gut, Sie können durchgehen“, sagt der Beamte. Schnitt. Die Kamera zeigt eine Airbus-Maschine der SWISS beim Start.

Kesslers Maschine beim Abflug.

Schnitt. Ankunft der Maschine in Tel Aviv. Auch hier kommt Kessler problemlos durch die Passkontrolle.

Tel Aviv
Kessler schaut sich, ohne aufzufallen, in der Ankunftshalle um. Er blickt nervös auf seine Uhr. Die Lautsprecherdurchsage: „Flug EL AL 755 ist vor einer Minute gelandet“. Kessler atmet auf. Nach einer Weile sieht er, wie – nach der Passkontrolle von Flug EL AL 755 – aus einem Ausgang einige Personen kommen: Es ist (perfekt mit Perücke und anderen Utensilien getarnt) Sarah Mandelbaum (Marlene G., Vizepräsidentin des VgT), Ari Becker (Aktivist Peter B., reuig in den VgT zurückgekehrt) und weitere Mitglieder des „harten Kerns“ des VgT. Kessler kann sich ein vergnügtes, kleines Grinsen nicht verkneifen…
Mit separaten Transportmitteln gelangen die VgT-Leute sicher nach Jerusalem. Denn dort findet die spektakulärste Aktion statt, die jemals von Tierschützern durchgeführt wurde. Alles wurde von Tierschützer Kessler bis ins letzte Detail minuziös vorbereitet. Später wird der Chef des Mossad seinen Beamten sagen, dass er noch nie eine so perfekt inszenierte Geheimaktion erlebt habe…

Jerusalem
Szenenwechsel. Blick auf Jerusalem. Blick auf den Tempelberg. Blick auf die Klagemauer. Kessler (Gershon Kessel) mischte sich unbemerkt unter die Gläubigen und gibt seinen AktivistInnen, die sich oben auf der Klagemauer befinden, das Zeichen. Alles, was jetzt passiert, geschieht unglaublich schnell. Ein schwarzes Transparent wird ausgerollt, auf dem es mit weisser Schrift heisst: „Essen Sie heute vegetarisch – Ihrer Gesundheit und den Tieren zuliebe. Stopp dem Schächt-Holocaust! Verein gegen Tierfabriken (VgT) Schweiz“ (das Ganze in hebräischer Schrift).

Kesslers Slogan in Deutsch.

 

Blick auf Jerusalem.

„Es ist geglückt!“ Die Kamera zeigt kurz VgT-Agentin Sarah Mandelbaum (M. Gamper mit Sonnenbrille und Perücke als Touristin getarnt), welche über das ganze Gesicht strahlt. Doch der Glücksmoment dauert nicht lange. Kaum ist das Transparent ausgerollt, verwandelt sich der gesamte Tempelberg in einen einzigen Hexenkessel. Ein fanatischer orthodoxer Jude schreit alles übertönend: „Kessler, Kessler..!“ Und sogleich gerät alles erst richtig aus den Fugen. Erwin Kessler befindet sich in allerhöchster Lebensgefahr!

Aufruhr
Die Orthodoxen sind dermassen auf Kessler fixiert, dass den VgT-AktivistInnen auf der Klagemauer – wie durch ein Wunder – der Rückzug unbemerkt gelingt.
In der Zwischenzeit hat der Aufruhr auch Viertel ausserhalb der Klagemauer erfasst. Israelische Soldaten feuern mit ihren UZI-Maschinenpistolen in die Luft. Fanatische Orthodoxe graben Pflastersteine aus und nutzen sie als Wurfgeschosse. Fensterläden werden heruntergezerrt und aus dem Holz entstehen Schlagstöcke. Vom Ältesten bis zum Jüngsten ist alles in hellem Aufruhr.

Unterschwellige Kritik
Die Kamera zeigt einen orthodoxen, dreijährigen jüdischen Knaben im Parterre eines Hauses, wie er von seinem Töpfchen aufspringt, ins Freie rennt und sich (so gut es eben für einen Dreijährigen möglich ist) der Meute anschliesst. Dabei ist für den Kinozuschauer deutlich erkennbar, dass der Knabe beschnitten ist. (Weil der Film nicht nur das Schächten von Tieren ablehnt, sondern auch die jüdische Beschneidung von Knaben unverblühmt kritisiert, werden fanatische religiöse Juden total ausrasten!).

Auf der Flucht
Kessler ist in der Zwischenzeit die Flucht vom Tempelberg – dicht gefolgt von seinen Peinigern – gelungen. Draussen vor der Heiligen Stätte wartet ein beiges Taxi (Fluchtauto). Die hintere, linke Türe ist bereits offen. Mit einem Sprung rettet sich Kessler in den Wagen. Ein laut aufheulender Motor, durchdrehende, rauchende Michelin-Pneus – der Wagen setzt sich in Bewegung.
Gerettet? Kurz danach ein heftiger Knall: ein wütend gegen das Auto geworfener Pflasterstein hat die Heckscheibe zertrümmert. „Bist du verletzt, Erwin?“ frägt der Fahrer. „Alles o.k.“, antwortet Kessler. Schnitt. Die Kamera zeigt jetzt von aussen, wie eine Meute das Auto verfolgt. Weitere Steine, Flaschen und andere Wurfgeschosse prallen auf die Carrosserie des robusten Peugeot 505 Break.
Kessler gelingt schliesslich die Flucht, denn der Taxifahrer bin ich… (War 1985 in Kairo und verfüge über reiche Erfahrung im sportlichen Pilotieren französischer Autos, z.B. Renault 5 GT Turbo.)

Gebiet abgeriegelt
Zeitsprung: Den nationalreligiösen Kreisen gelingt es, zu veranlassen, dass sämtliche Flughäfen in Israel hermetisch abgeriegelt werden. Der Geheimdienst ist in höchster Alarmbereitschaft.
Doch Kessler wäre nicht Kessler, wenn er nicht einen genialen Ausweg fände…
Die Juden erwarten, dass Kessler das Land nach Europa oder ev. den USA verlassen wird. Kessler denkt jedoch nicht daran, aus dem Nahen Osten zu flüchten, sondern plant bereits die nächste spektakuläre Tierschutzaktion…
Als Beduine verkleidet gelingt ihm unbemerkt die Reise nach Saudiarabien, wo er schliesslich in Mekka als Grossmufti Abdul Gamal El Kessel in Erscheinung tritt.

Kessler oder Khatami?

Mit Turban, langem schwarzem Mullah-Gewand, Sandalen, intellektueller Brille, Prophetenbart und braunem Teint (Badeurlaub am Toten Meer), ist die Tarnung perfekt. Hübsche, junge arabische Frauen mit herrlichen Körpern und dunklen Augen blicken ihn verführerisch lächelnd hinter ihren Schleiern an… „Vielleicht ein anderes Mal…“, denkt sich Kessler, und lächelt charmant zurück.

Der Schwarze Stein.

Mekka
Diesmal sind es einige Araber selbst, die ungewollt Kesslers genialen Plan verwirklichen helfen. Sie tragen ihm eine grosse Leiter zur Heiligen Stätte. Als eines Tages alle Pilger in tiefer religiöser Meditation versunken sind, ergreift Kessler die versteckte Leiter und steigt mit deren Hilfe pfiffig wie ein Wiesel auf den Schwarzen Stein. Der Überraschungseffekt ist so gross, dass das Unglaubliche gelingt. Oben auf dem Heiligtum entrollt Kessler seine Botschaft: „Essen Sie heute vegetarisch – Ihrer Gesundheit und den Tieren zuliebe! Stopp dem Schächt-Wahnsinn! Verein gegen Tierfabriken (VgT) Schweiz“ (alles in arabischer Schrift).

Hexenkessel
Wie bereits das Territorium bei der Klagemauer auf dem Tempelberg in Jerusalem verwandelt sich auch die religiöse islamische Stätte blitzartig in einen tobenden Hexenkessel. Die Aufruhr kennt keine Grenzen. Fanatische Muslims versuchen wütend, auf den riesigen Stein zu klettern und Kessler herunterzuholen.
Kesslers Nerven sind aufs Äusserste angespannt Er ist nicht sicher, ob sich das Transparent in der Hektik richtig entrollte, d.h. seine Botschaft vollständig zu lesen ist. „Wenn nicht, war alles umsonst“, denkt Kessler in einem verzweifelten Augenblick. Und es sieht auch so aus, als ob Kessler in der Falle steckt.
Ein Schweinemäster in einem Innerschwyzer Kino ruft laut und schadenfreudig: „So, jetzt haben sie ihn endlich…!“ – Doch der Film ist noch nicht fertig…

Schier unerträgliche Spannung
Kessler befindet sich noch immer auf dem Schwarzen Stein, umzingelt von tobenden Pilgern. Alles ist so packend gefilmt, dass das Kinopublikum emotional an den Anschlag gerät. „Au, Erwin!“ ruft Marlene G. verzweifelt bei der Premiere aus ihrem Kinosessel (sie weiss nur den Ausgang der Aktion vom Tempelberg, nicht den von Mekka). Andere Kinobesucherinnen halten ihre Hände vors Gesicht, weil sie die Anspannung fast nicht mehr aushalten. Verzweifelte stöhnen: „Alles aus!“
Jetzt – auf dem absoluten Höhepunkt der Anspannung, wo alle glauben, alles sei aus – hört der Kinobesucher aus mächtigen Dolby-Surround-Lautsprechern rettenden Helikopterlärm. Hans Palmers (Code-Name „Scheich Hassan Al Palm“) fliegt mit einem Hubschrauber direkt über den Schwarzen Stein.

Rettung in letzter Minute

„Action“
Dröhnender Rotoren-Lärm, Wüstensand, der den Pilgern ins Gesicht weht, fliegende Gewänder. Palmers, gewohnt Privatflugzeuge zu fliegen, hat mit dem exakten Manöverieren des Hubschraubers sichtlich Probleme. Nur mit Mühe gelingt es ihm, die Maschine einigermassen senkrecht über dem riesigen Stein zu halten – denn zusätzlich beeinträchtigt auch noch stürmischer Wüstenwind die Rettungsaktion.
Nochmals bange Sekunden für die Zuschauer. Schliesslich gelingt es Kessler, das Ende des herunterhängenden Seils zu fassen. Gerettet! Das Kinopublikum sieht, wie der Hubschrauber mit Kessler am Seil die Heilige Stätte verlässt. Stehende Ovation im Kino, begleitet von heroischer Siegesmusik à la „Krieg der Sterne“ und einem imposanten, mehrminütigen Nachspann, wie man ihn sonst nur von bekannten Oscar-Filmen her kennt.

In den Hauptrollen:
Gershon Kessel Erwin Kessler
Abdul Gamal El Kessel Erwin Kessler
Heidi Kessler Heidi Jivana Kessler (in US-Version: Heidi Klum)
Sarah Mandelbaum Marlene G.
Ari Becker Peter B.
Dora H. Dora H.
Taxifahrer (Fluchtauto) Uri Ben Shalom (U.B.)
Hubschrauberpilot Scheich Hassan Al Palm (Hans Palmers)
und viele andere

 

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