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Eine leider schreckliche Realität in den Regenwäldern des Kongo Beckens

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Der aktuelle Report aus dem grünen Herzen des schwarzen Kontinents

23. März 2004

Von Ruedi Suter
Tag für Tag sind die abgelegenen Regenwälder des Kongo-Beckens Schauplatz von Menschenrechtsverletzungen, Wilderei und Naturzerstörung: Ein nicht erklärter Krieg, betrieben durch die Holzindustrie und Konsumenten in den Industriegesellschaften, gefördert durch korrupte Regierungen, toleriert von kompromissbereiten Umweltorganisationen.
Fahrt an die ferne Front. Dorthin, wo kaum je einer hinreist. Wo im frisch aufgerissenen Urwald bis zu 900 Jahre alte Baumriesen krachend zu Fall gebracht werden. Wo dem Urvolk der Pygmäen, aber auch dem Wild wie Elefanten, Gorillas und anderen geschützten Tieren im Stundentakt die Lebensgrundlagen zerstört werden. Wo der Krach der Bulldozer, der Kettensägen, Lastwagen, Generatoren und Sägewerke den bis vor kurzem unangetasteten Regenwäldern ihre Ruhe rauben.
Wo Barackenstädte aus dem gerodeten Boden schießen, um sich mit Scharen von Händlern, Siedlern, Holzarbeitern, Waffenhändlern, Wilderern und Prostituierten zu füllen. Wo auf firmeneigenen Flugpisten die Verantwortlichen der Holzkonzerne und Beamte für Stippvisiten landen, um sich in gekühlten Räumen über Fortschritt, Fällquoten, Exportraten, Investitionen, Korruption und Umweltschutz zu unterhalten. Wo aber auch, so kritisiert unablässig der Schweizer Afrika-Kenner Karl Ammann, bei genauem Hinsehen und trotz aller Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit die einfachen Menschen in Kamerun, aber auch in den anderen Ländern des Kongo-Beckens, praktisch ersatzlos und mit verheerenden Umweltschäden der Zukunft ihrer Urwälder beraubt werden: Durch skrupellose Holzkonzerne aus Europa, durch korrupte Regierungen, realitätsfremde Entwicklungsprogramme und zu nachsichtige Umweltschutzorganisationen, die es nicht wagten, Alarm zu schlagen.
Solche Verhältnisse treffen wir auch dort an, wo wir jetzt mit dem gemieteten Geländewagen hin wollen: In Ostkamerun, in den Agglomerationen Libongo, Kabo und Ouessou, im Dreiländereck am Shanga, dem mächtigen Grenzfluss, wo sich Kamerun, die Zentralafrikanische Republik und die Republik Kongo (Brazzaville) berühren. Es ist ein Gebiet, das von Medienleuten kaum aufgesucht wird. Weil die Anreise zu viel Zeit, zu viel Geld kostet und weil die Regenwald-Zerstörung kein Trend-Thema ist.

Amokfahrer, Tote und Strassensperren auf den Holzfällerpisten
Zu schnell, zu gefährlich. Die Hand Karl Ammans legt sich einmal mehr sanft auf den Arm des kamerunischen Chauffeurs Blaise: „Fahren Sie langsamer“, bittet bestimmt der in Kenia lebende Schweizer Fotograf. Er kennt wie kaum ein anderer die Regenwälder im zentralen Afrika, bereiste während zwei Jahrzehnten kreuz und quer das risikoreiche Kongo-Becken, kennt auch diese Strecke mit den zahlreichen Straßensperren, an denen schlecht bezahlte Polizisten und Soldaten oft mit Charme oder Drohungen Geld für ein reibungsloses Durchlassen verlangen.
Das Tempo wird gedrosselt. Rund 700 Kilometer Landweg liegen noch vor uns. Das bedeutet mehrere Tage Rütteln und Rutschen auf engen, nach dem täglichen Regen seifenglatten Lateritpisten. Der hinter der nächsten Kurve in der Strassenmitte heran rasende, mit tonnenschweren Stämmen beladene Lastwagen lässt unserem Fahrer keine Wahl. Er reisst das Steuer herum, wir schleudern, geraten in Schieflage, schiessen quer über die Strasse auf die gegenüberliegende Strassenböschung zu, prallen in den Steilhang überschlagen uns – und krachen aufs Dach.
Die täglichen Holztransporte vom Osten in Richtung Kameruns Hauptstadt Yaoundé und weiter in die Hafenstadt Douala am Atlantik fordern laufend Opfer. Die Fahrer der schweren Trucks dröhnen sich gerne mit Cannabis oder dem in Kamerun beliebten Guiness-Bier zu. Dann fahren sie um die Wette, geben enthemmt Vollgas bis zum nächsten Treffpunkt oder zur nächsten Stadt. Andere wiederum wollen einfach so rasch wie möglich bei der nächsten Freundin ankommen. An den einst von der Holzindustrie angelegten Pisten verrosten die Fahrzeugwracks. Zeugen oft furchtbarer Unfälle mit Toten und Schwerverletzten. Kein Zweifel, hier herrscht das Recht der Rücksichtslosen.

Der grosse Schock auf dem Kongo-Fluss
Glück gehabt, nur ein paar Schnittwunden. Wir kriechen zum zersplitterten Beifahrerfenster hinaus. Ist die Reise nach vier Stunden schon beendet? Karl Ammann bringt sich am Waldrand in Sicherheit, verbindet seine Wunden, öffnet seinen Koffer. Darin ein ganzes Kommunikationszentrum: Handys, Kameras, Filmapparate, ein GPS-Navigationsgerät, ein Laptop – und ein Satellitentelefon.
Stoisch informiert der Schweizer via Weltraum ein paar seiner Kontaktpersonen. Nun wird klar: Diese Expedition ist generalstabsmässig geplant. Bei einem Verschwinden, Unfall oder einer Verhaftung würde ein Netz engagierter Mitarbeiter/-innen aus Kreisen von Umweltschützern, Menschenrechtlern und Diplomaten aktiv.
Was nur ist das für ein Kerl, der sich daheim im kenianischen Nanyuki stundenlang mit ausgewachsenen Schimpansen herumbalgen kann? Begonnen hatte alles 1988 auf einer Fähre im Kongo-Strom – mit Mzee, dem Schimpansen. Das Ehepaar Ammann rettete das völlig verstörte Waisenäffchen vor dem Kochtopf und nahm es mit heim nach Kenia. Mzee wurde zum lebendem Mahnmal für die Millionen von Waldtieren, die im zentralen Afrika geräuchert, als Frischfleisch oder Lebendproviant mit Schiffen, Lastern, Eisenbahnen, Buschtaxis und Flugzeugen in die Städte transportiert werden.
Ammann war schockiert. Er begann auf zahlreichen Reisen den Handel mit Bushmeat (illegales Wildfleisch) zu untersuchen und fotografisch zu dokumentieren. Daheim verspielte er Tage mit dem liebesbedürftigen Affenkind, lauste es, pflegte es. Mzee durfte sogar ins Ehebett, und dort kuschelt sich der unterdessen ausgewachsene Menschenaffe nach gescheiterten Auswilderungsversuchen heute noch zwischen das Paar.
Einschlafen könne Mzee erst, wenn ihm beide die Hand halten. „Diese Beziehung zu unserem nächsten Verwandten muss man erlebt haben. Man kommuniziert miteinander, und man fragt sich dauernd, you know: Müssen diese prächtigen Tiere gefressen und ausgerottet werden?“, sagt der Initiant und Mitautor des neuen, für den Pulitzerpreis vorgeschlagenen Buchs mit dem Titel „Eating Apes“.

Eines der letzten Paradiese wird aus dem Gleichgewicht gehebelt
Ich kenne Ammann nicht, kenne nur seine Fotos von misshandelten und abgeschlachteten Menschenaffen aus den afrikanischen Regenwäldern. Erschütternde Bilder, die der Welt vor zehn Jahren erstmals drastisch vor Augen führten: Im Herzen Afrikas tobt ein Krieg gegen die Schöpfung, abgeschieden, erbarmungslos, verdrängt. Hier beschaffen sich westliche Holzkonzerne zu einem Pappenstiel für uns Konsumenten und Konsumentinnen in Europa und den USA hochwertiges Tropenholz. Sie walzen mit Unterstützung von afrikanischer Regierungen, mit Entwicklungsgeld, mit Weltbank und unter den Augen grosser Umweltorganisationen wie dem Worldwide Fund for Nature (WWF) und der amerikanischen Wildlife Conservation Society (WCS) Strassen in den Urwald, holen die wertvollsten Bäume heraus, entwurzeln die Waldnomaden und pumpen hungrige Arbeiter, mittellose Beamte und geschäftstüchtige Fremde in den Wald. So wird dieses Paradies aus dem Gleichgewicht gehebelt. Deshalb die Wilderei, deshalb der explodierende Handel mit Buschfleisch, deshalb die rasende Ausrottung geschützter Tierarten: Die „Bushmeat Crisis“ ist ausserhalb Afrikas vor allem dank Karl Ammann zum Begriff geworden.
Der 1949 in St. Gallen geborene Schweizer ist unterdessen als hartnäckiger Rechercheur, Mahner und Hinterfrager in Sachen Tropenwaldzerstörung, Artenschutz und Menschenrechte bekannt. In den Chefetagen der Konzerne ebenso wie in den Büros der Ministerien, Entwicklungs- und Umweltorganisationen. Und er beharrt auf ehrlicher Transparenz, stellt Fragen, reist immer wieder in die abgelegensten Urwaldgebiete und sammelt wagemutig Beweise für die unkontrollierte Zerstörung der afrikanischen Regenwälder. Er will bewusst machen, zur Diskussion stellen: In Abhandlungen, Artikeln, Büchern oder Reden vor Gremien wie dem Europa-Parlament, der UNO und der Weltbank.

Andauernde Menschenrechtsverletzungen an den Baka-Pygmäen
Wir warten nicht lange am Strassenrand. Ein Pick-up nimmt uns mit bis in die Stadt Bertoua. Von dort mit dem nächsten Mietwagen weiter zur Holzfällerstadt Yokaduma. Hier lebt seit 33 Jahren Missionsschwester Rita Rossi aus Florenz. Sie klagt, mit der Ankunft der Holzindustrie habe der Niedergang der Baka (Pygmäen) begonnen. Ziehen die Konzerne dereinst ab, sei die Baka-Kultur vernichtet und die ökologisch verwüstete Region falle der Verelendung anheim, ohne Arbeit, ohne Zukunftsperspektiven. Die Baka kleine feingliedrige Waldnomaden, sind seit Jahrtausenden Jäger und Sammler. Verteilen aber die Regierungen in den Hauptstädten Zentralafrikas ihre Holzkonzessionen, verramschen sie rücksichtslos die Heimat der rechtlosen Ureinwohner.
Für die mit der Holzindustrie anrückenden, Bantu sprechenden Heerscharen anderer afrikanischer Ethnien sind die Pygmäen in der Regel einfach „Halbaffen“: Sie werden gejagt, vertrieben, ausgebeutet, oft vergewaltigt und als Arbeitssklaven missbraucht. Das bestätigen uns nach Rita Rossi wenig später auch europäische Berufsjäger in Ostkamerun, die nur Baka anstellen. („Weil niemand anders zuverlässiger ist und besser die Wälder und Tiere kennt als die Baka“). Die Menschenrechtsverletzungen an dem Wildbeutervolk werden neuerdings auch von seinen Vertretern vor der UNO-Menschenrechtskommission in Genf vorgetragen. Die Pygmäen sind die ersten menschlichen Opfer der mit europäischen Steuergeldern unterstützten Regenwaldzerstörung im Kongo-Becken.
Weiterfahrt nach Südosten, wo insgesamt neun Holzfirmen vorab aus Frankreich, Italien und Spanien den Urwald fällen. Links und rechts bis zu 40 Meter hohe Baumriesen, dichter Urwald, ein flüchtender Gorilla, ab und zu ein neueres Bantu-Dorf, entgegenkommende Lastwagen, die Blatthütten einiger Bakas und immer wieder Straßensperren mit sich misstrauisch gebenden Beamten.
Man will wissen, wer in die Konzessionen fährt. Straßensperren in diesen Gebieten, wies Ammann nach, dienten aufgrund des Einflusses der Holzbarone mehr der Eintritts- als der Austrittskontrolle. Illegal geschlagenes Holz oder Buschfleisch kämen problemloser aus den Konzessionsgebieten heraus als Fremde hinein. Immerhin, räumt der Schweizer ein, werde man in Kamerun wenigstens durchgelassen. Dies im Gegensatz zu anderen Ländern wie Gabun oder Kongo-Brazzaville, wo Holzkonzerne „ihre“ Gebiete hermetisch abriegelten.

Elefantenmassaker gleich neben der Holzfällerpiste
Plötzlich vor uns, auf der schnurgeraden, lateritroten Waldstrasse ein am Rand abgestellter Geländewagen. Ein paar Afrikaner und Europäer stehen im gleissenden Sonnenlicht und blicken uns entgegen. Es sind Mitarbeiter des für die BBC arbeitenden Filmteams vom Büro TVE. Ihr Führer ist Joseph Melloh – ein Bantu und Ex-Gorillawilderer, der sich mit Ammanns Hilfe zu einem der mutigsten Wildschützer Kameruns entwickelte. „Hier wurden vor Tagen sechs Elefanten geschossen, geräuchert und mit Lastern abtransportiert“, erläutert uns Melloh.
Einige Schritte in den Busch, Gestank, Fliegen, und da liegt das, was einst eine Herde war: Ohren, Knochen, Hautfetzen und eine riesige Breimasse aus Innereien, auf der sich Abertausende wimmelnder Maden gütlich tun.
Etwas weiter davon entfernt die Feuerstellen und Gerüste für das Räuchern der mit Buschmessern zerstückelten Elefanten. Fleisch in einem Regenwald erfordert eine rasche Konservierung, vor allem wenn es noch transportiert und verkauft werden soll.
Ammann registriert mit dem GPS die genaue Lage des Massakers, und er filmt und fotografiert die Details der grauslichen Szene.
Ein weiteres Dokument unter vielen anderen, das er später jenen in den Büros der Ministerien, Holzkonzerne, Entwicklungs- und Umweltorganisationen unter die Nase halten wird, die mangels Erfahrung, Kenntnissen oder aus taktischen Gründen behaupten, man habe in den abgelegenen Konzessionen das meiste im Griff.
Weiterfahrt. Kurz vor der Stadt Libongo steht eine Pygmäenfamilien am Straßenrand. Ammann lässt halten, steigt aus und begrüßt die im Lumpen gehüllten Menschen. Ein Mann kann etwas Französisch. Er sagt, seine Sippe sei zum Verlassen jener Waldregion gezwungen worden, in der sie gelebt habe. Dort werde jetzt abgeholzt. Jeder Versuch, in den Wald zurückzukehren, sei von Holzfällern und Wildhütern mit Drohungen vereitelt worden. Jetzt lebe man hier am Straßenrand und wisse nicht mehr, wie das Leben weitergehen soll. Ammann verspricht, später mit der Filmkamera zurückzukommen und sich ihre Geschichte erzählen zu lassen. Ein Beweis mehr für das willkürliche Abholzen der Regenwälder im Kongobecken.

Die Rettung von „Libongo“, dem Gorillababy
Später, im Zielort Libongo am mächtigen Shanga-Grenzfluss, stossen wir in kürzester Zeit in den hier typischen Bretterbuden auf verschiedene Verkäufer von Bushmeat. Später entdeckt Ammann in einem Hinterhof einen gefangenen, bereits ziemlich geschwächten Jung-Gorilla, der seiner umgebrachten Mutter abgenommen worden war. Karl Ammann lässt „Libongo“ – so wird das Waisenkind getauft – umgehend beschlagnahmen. Und zwar von Beamten des örtlichen Büros des MINEF, dem kamerunischen Ministerium für Umwelt und Wälder, dessen Mitarbeiter vom WWF besoldet werden. Da den MINEF-Leuten das Verständnis für die Beschlagnahmung des unter Artenschutz stehenden Tiers offensichtlich abgeht und der zuständige Ranger mit dem Affenbaby nichts anzufangen weiss, schlägt Ammann vor, „Libongo“ nach Yaoundé mitzunehmen und dort in einer Auffangstation fürMenschenaffen abzugeben.
Erleichtert willigt der Beamte ein. Ab sofort verwandelt sich Ammann zum Ersatzvater, drückt das Gorillakind an die Brust, stößt beruhigende Affenlaute aus, legt den Kleinen in die Aktentasche und gibt ihm mit einem Schoppen während den nächsten Tagen regelmäßig Pulvermilch und Bananenbrei.
Innerhalb kurzer Zeit sind wir zufällig Zeugen davon geworden, dass in den Holzkonzessionen weder die Vertreibung der Baka, noch die Wilderei, noch der Fleischhandel unter Kontrolle sind.
Allerdings sei man unterdessen auch hier etwas vorsichtiger geworden, vergleicht Ammann. Nach wie vor undurchsichtig ist jedoch das Gebaren der Holzkonzerne. Sie reden zwar viel von Nachhaltigkeit, von Sozialverträglichkeit, von Steuergewinnen für die Bevölkerung. Gleichzeitig berufen sie sich aber auf das Geschäftsgeheimnis, verhindern unabhängige Kontrollen und mauern, wenn sie gefragt werden, wieviel ihrer Gewinne sie tatsächlich ins Land zurückfließen lassen.

„Keine von uns Holzfirmen schlägt in Afrika legal ein“
„Meine Erfahrungen im letzten Jahrzehnt zeigen, dass die Dinge in den zentralafrikanischen Regenwäldern nicht vorwärts, sondern rückwärts gehen“, folgert Kronzeuge Ammann. „Seit zehn Jahren reden und reden Regierungen, Holzkonzerne, WCS und WWF von der Einführung einer FSC-Zertifizierung, welche die Legalität und Nachhaltigkeit des Holzeinschlags garantieren soll. Doch umgesetzt wurde nichts. So werden wir hingehalten, derweil die letzten Regenwälder Afrikas rund um die Uhr und auch nachts bei Scheinwerferlicht dezimiert werden. Die Konzerne vertrösten uns, signalisieren Einsicht, doch in Tat und Wahrheit machen sie rücksichtslos weiter. Alle Debatten um Nachhaltigkeit werden für die Konsumenten in den Industrieländern geführt. Aber in ihren internen Entscheidungsprozessen geht es den Holzfirmen einzig um die schnellen Gewinne.“ Der Patron einer französischen Holzfirma bestätigte offenherzig gegenüber Ammann: „Keiner von uns schlägt in Afrika legal ein.“ Dank der weit verbreiteten Korruption und der schlechten Regierungsqualität könne ungestraft und billig abgeräumt werden.
Vom kamerunischen Libongo den Shanga hinab ins kongolesische Kabo auf der anderen Flussseite ist es eine Tagesreise. Das Filmteam und ich besteigen ein schmales Flussboot mit Aussenbordmotor. Ammann und Melloh bleiben zurück. In Kongo-Brazzaville sind sie persona non grata. Denn seitdem der Kameruner 2002 im Auftrag des Schweizers verdeckte Filmaufnahmen im Konzessionsgebiet der „Congolaise Industrielle des Bois“ (CIB) machte, um unter anderem den Handel mit Buschfleisch zu belegen, sind die beiden für den Kongo „Staatsfeinde“. Melloh flog damals auf und wurde verhaftet. Er verschwand spurlos in einem Gefängnis in Brazzaville. Erst auf massiven internationalen Druck kam er wieder frei.

„Ohne Undercover-Kontrollen bessert sich nichts“
Ammanns Behauptung, die mächtige, vom Deutschen Hinrich Stoll aufgebaute CIB schotte in Zusammenarbeit mit der Regierung in Brazzaville und der amerikanischen Umweltschutzorganisation WCS hermetisch den Nordkongo ab, will geprüft sein. Die CIB gehört zur tt-Timber-International-Gruppe mit Hauptsitz in Basel, Schweiz; sie pflegt enge Beziehungen zur kongolesischen Regierung. Tatsächlich wurde mir in Genf von der dortigen Landesvertretung ein Visum verweigert. Ohne Begründung. Nur, weil ich als Reiseziel den Nordkongo angab?
Das Visum habe ich trotzdem erhalten, in Yaoundé. Aber auch das hilft nichts vor Ort. Der Immigrations-Offizier im abgelegenen Kabo meldet die weißen Ankömmlinge unverzüglich dem örtlichen Büro vom WCS. Die große US-Umweltschutzorganisation ist die dritte Macht im Gebiet: Sie berät die CIB wie auch die Regierung und ist mit verschiedenen Projekten engagiert.
Nachdem uns dessen Vertreter nach dem Beruf gefragt und dieser per Satelittentelefon den gerade in New York weilenden Chef Paul Elkin konsultiert hat, komplimentiert uns der nervös gewordene WCS-Mitarbeiter am nächsten Tag mit einem Schnellboot aus dem Land. Der Nordkongo ist eine Sperrzone, in die man nur auf Einladung der CIB, des WCS oder der Regierung hinein kommt. Unangemeldete Besuche oder überraschende Kontrollen durch Holzfachleute, Umweltschützer und Menschenrechtler sind nicht möglich.
Doch genau diese nicht angemeldeten Kontrollen verlangt Karl Ammann für die letzten Regenwälder im Kongo-Becken. Denn nur so könne zuverlässig geprüft werden, ob sich alle Beteiligten an die Regeln halten: „Es braucht international finanzierte Undercover-Teams aus Einheimischen, die sich auskennen, nicht auffallen und unerkannt recherchieren. Denn richtig wäre: Die Konzerne schlagen ihr Holz ein, die Regierungen kontrollieren den legalen Einschlag und das Zahlen der Steuern, und die Umweltorganisationen überprüfen die Konzerne und die Regierungen, ob der Einschlag auch tatsächlich nachhaltig erfolgt. So würden sich die drei Mächte gegenseitig kontrollieren. Doch heute liegen alle miteinander im Bett.“

„Was hier läuft, ist der Ausverkauf der Regenwälder Afrikas“
Die Politik des guten Zuredens durch die Umweltmultis WSC und WWF hat laut Ammann in von Korruption geprägten Zentralafrika kläglich versagt. Anstatt mit internationalem Druck den Firmen und Regierungen unmissverständlich den Tarif durchzugeben und auf die Einführung und Einhaltung der FSC-Zertifizierung zu beharren, akzeptiere man lieber faule Kompromisse. Derweil würde den Spenderinnen und Spendern daheim das Gefühl vermittelt, es laufe alles bestens. Ammann: „Tatsächlich ist zurzeit aber der Ausverkauf der afrikanischen Regenwälder im Gang – und dies mit Hilfe des WSC und dem WWF.“
Wir landen in Sucambo. Hier werden die Holz-Trucks der CIB vom Kongo über den Fluss nach Kamerun gebracht, um dann in die Hafenstadt Douala an den Atlantik zu fahren. Obwohl die CIB ausweichend oder gar nicht auf kritische Pressefragen reagiert, gilt sie im Dreiländereck Kamerun-Zentralafrikanische Republik-Kongo nach dem Alarmschlagen Ammanns heute als jener Holzkonzern mit dem am weitesten entwickelten ökologischen Bewusstsein. Doch dies gilt nur ansatzweise.
Denn CIB rühmt sich beispielsweise, ihre Lastwagen würden streng kontrolliert und kein Buschfleisch mehr transportieren. Berufsjäger aus Frankreich und Deutschland, die in der Region permanente Camps für reiche Kunden aus den USA unterhalten und sich aktiv für den Wildschutz und die Baka-Pygmäen einsetzen, stellen immer wieder das Gegenteil fest: CIB-Lastwagen transportieren weiterhin geräuchertes Buschfleisch in die Städte des Westen oder, in entgegengesetzter Richtung, nach Pokola, der CIB-Holzfällerstadt im Kongo. Die Jäger haben sich die Nummern der Lastwagen notiert – die Liste liegt OnlineReports vor – und einen Protestbrief an die CIB geschickt. Eine Antwort erhielten sie nie.

Wildhüter spannen mit Wilderern zusammen
Die Situation in der Region gerät zunehmend außer Kontrolle. So erklärte einer der Berufsjäger gegenüber OnlineReports: „Unser Engagement gegen die Wilderei, denen von den Elefanten über Gorillas bis hin zu den Kleinstantilopen alle zum Opfer fallen, wird von den Behörden als lästig empfunden. Wir wurden auch schon massiv bedroht. Neuerdings kommen immer mehr Kriegswaffen aus dem Kongo, was das Abschlachten des Wildes beschleunigt hat. Es wird viel Nacht-Wilderei betrieben. Die Waldbehörde MINEF ist machtlos und oft auch in die Wilderei involviert. Der sich hier engagierende WWF scheint überdies machtlos und ohne Kontrolle zu arbeiten. Unser Vorschlag zur Zusammenarbeit wurde vom WWF nicht einmal beantwortet.“ Solches aber wird von WWF-Verantwortlichen in Afrika und Europa vehement bestritten.
Wir wollen die schwer wiegenden Anschuldigungen wenn möglich auch von einem Direktbeteiligten bestätigt erhalten. Dank eines glücklichen Umstands treffen wir mit Hilfe von Joseph Melloh im Städtchen Kika um Mitternacht einen deprimiert wirkenden Wildhüter. Der sogenannte Ecogarde erklärt sich bereit, Auskunft zu geben. Wir fahren in ein von ihm bestimmtes Versteck: Ein Haus in einer Strasse ohne Beleuchtung. Im Licht der Filmkamera bittet uns der Zeuge, seinen Namen nicht zu nennen, da er trotz allem seine Stelle behalten müsse. Auch er unterstehe dem MINEF, den Lohn erhalte er vom WWF. Was er in den letzten Jahren habe mitmachen müssen, sei gegen die Prinzipien seines Berufs und gegen sein Gewissen, erklärt der Mann mit dem offenen Gesicht. Sein Chef und viele seiner Kameraden steckten mit den Wilderern unter einer Decke. Würden Wilderer einmal verhaftet, seien sie oft am nächsten Tag schon wieder frei und mitsamt den beschlagnahmten Gewehren verschwunden.
Wer sich als Ranger gegen solche Praktiken wehre, werde unter einem Vorwand gefeuert. Der Ecogarde nennt noch verschiedene weitere Beispiele, die immer das Gleiche bestätigen: Fast nichts ist unter Kontrolle in den fernen Regenwäldern Zentralafrikas. Um sie und ihre Menschen und Tiere zu retten, dürften die übrig gebliebenen Urwälder gar nicht mehr angetastet werden. Und die Industrien müssten abziehen. „Doch dann“, gibt Wirtschaftsfachmann Ammann zu bedenken, „müssen wir Formeln finden, um diese Länder zu kompensieren.“

Und plötzlich schließen sich die sumpfdunklen Augen für immer
Auf der Rückfahrt nach Yaoundé bricht unserem Wagen das linke Vorderrad weg. Doch diesmal landen wir nicht auf dem Dach. Ammann greift wieder einmal zum Satelittentelefon und organisiert einen Ersatzwagen. Es ist aber bereits abends, und wir sehen uns gezwungen, neben der Piste am Waldrand zu übernachten. Zusammen mit Gorillakind „Libongo“. Einmal mehr mutiert sein Retter zum Elternersatz, herzt das pelzige Baby, gibt ihm den Milchschoppen, hält seine runzelige Hand und kriecht schließlich mit ihm ins Zelt. Aus dem Innern tönen die ganze Nacht hindurch immer mal wieder beruhigend die Affenlaute eines Menschen.
Am folgenden Abend verabschieden wir uns in Yaoundé von „Libongo“. Das Personal der Affenstation übernimmt den kleinen Gesellen, um ihn gleich mit Medikamenten zu behandeln. Am nächsten Morgen sind seine sumpfdunklen Augen gebrochen. Karl Ammann ist erschüttert. Er vermutetet eine Fehlbehandlung und fordert sofort Rechenschaft. Es ist bestimmt nicht seine letzte Forderung. So, wie auch „Libongo“, das Gorillababy, nicht das letzte Opfer einer mörderischen Holzindustrie sein wird.

 

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