Von Urs Beeler
Journalismus und Menschenrechte: In den Siebziger- und Achtzigerjahren wurde in den Westmedien regelmässig darüber berichtet, wie sehr die Menschen im Osten unterdrückt würden. Als Schreckgespenst die politische Zwangspsychiatrie in der Sowjetunion. Menschen würden „verschwinden“. Und wie läuft es heutzutage in der Schweiz?
Ich habe den Fall von Peter Hans Kneubühl nicht in die Tiefe recherchiert, aber folgende Ungereimtheiten sind mir über die Jahre aufgefallen:
– Peter Hans Kneubühls Haus wurde vor über 10 Jahren zu einem bescheidenen angeblichen Preis von Fr. 405’000.– zwangsversteigert. Lohnt es sich für nicht einmal 1/2 Mio. eine Existenz bzw. ein Menschenleben zu zerstören? Die Familie Blocher verfügt gemäss „Bilanz“ über ein geschätztes Vermögen von 15-16 Milliarden Franken. 1/37’000 davon hätte genügt, die Tragödie um das Kneubühl-Haus zu vermeiden. War der Wille dazu da? Selbstverständlich nein. Auch andere hätten die Möglichkeit gehabt zu helfen. Taten sie es? Nein. Das System investiert lieber Geld in gross angelegte Polizeieinsätze, damit die Medien danach heuchlerisch berichten können, Behörden hätten (angeblich) „das Schlimmste verhindern können“ – Wie beruhigend dieser Spruch doch für jeden Steuerzahler klingt!
– Rechnet man die heutigen Hypothekarzinsen von 1% auf die ehemalige Liegenschaft Kneubühl um, so kommen wir bei einer (angenommenen) Schuld von Fr. 400’000.– auf einen Jahreszins von Fr. 4’000.–. Oder eine Zinsbelastung von Fr. 333.-/Monat. Warum hat noch keine einzige Zeitung der Schweiz diese Frage aufgeworfen?
– Zum Vergleich: „Ein Häftling kostet die Schweiz 390 Franken pro Tag“ titelte die „Südostschweiz“ (vor 8 Jahren). Falls die Angabe der „Südostschweiz“ zutrifft (das weiss man bei Schweizer Medien nie), wären dies pro Monat 30 x Fr. 390 = Fr. 11’700.–. Pro Jahr 12 x Fr. 11’700 = Fr. 140’400.–. In 10 Jahren ergeben sich 10 x Fr. 140’400 = Fr 1’404’000.–. Mit diesem Geld liessen sich locker 3 (!) Kneubühl-Häuser kaufen!
– In den Schweizer Medien wurde immer der Geisteszustand von Peter Hans Kneubühl thematisiert. Man würde wohl besser einmal den Geisteszustand des Schweizer Systems hinterfragen!
– Medienberichten zufolge habe Kneubühl Behörden vor der Zwangsversteigerung seiner Liegenschaft mehrfach um Hilfe angefragt. Selbstredend kam keine Unterstützung. Dies offenbar nach dem Motto: „Nein, das Schweizer System kann Ihnen keine finanzielle Hilfe bieten. Aber wenn Sie eine Straftat begehen, sind wir problemlos bereit, für Ihren Gefängnisplatz über 1,4 Mio. Franken zu investieren. Und wenn Sie sich später nicht selber für geisteskrank erklären, können wir mit Hilfe unserer Schweizer Psychiatrie nachhelfen und Sie zum willenlosen Krüppel machen.“
Aus obigem ergibt sich die Frage: Ist das System nicht nur krank, sondern auch „total bescheuert“?
– Allein die Tatsache, dass eher Geld in die Zerstörung und in Gewalt anstatt positiv fürs Leben investiert wird, verdeutlicht die Krankheit der Gesellschaft. Diese negative Mentalität zeigt sich nicht nur im Kleinen, sondern auch im Grossen. „Der Krieg in Afghanistan hat allein die USA über zwei Billionen Dollar gekostet.“ (NZZ vom 19.7.21) Gleichzeitig starben weltweit Menschen an Hunger.
– Im Fall Kneubühl wurde immer wieder über einen angeblich schwer verletzten Polizisten berichtet. Das Bieler Tagblatt titelte „Kneubühl tut verletzter Polizist leid“: „Ganz wichtig ist ihm (Kneubühl), dass es ihm leid tut, dass bei der ganzen Aktion jemand verletzt worden sei und dass er dem Polizisten alles Gute wünsche, dass es seiner Gesundheit bald wieder besser gehe.“ (Bieler Tagblatt, 10.11.2010).
Seit über 10 Jahren erfährt die Schweizer Öffentlichkeit nichts über den bei der Erstürmung des Kneubühl-Hauses angeblich schwer verletzten Polizisten
Frage: Steht juristisch einwandfrei fest, dass die genannte Verletzung von Kneubühls Waffe stammt? Ist eine Polizei-Sondereinheit-Überreaktion ausgeschlossen? Wer recherchierte am Tatort?
– Wie genau der Polizist verletzt worden war und über die Folgen dieser Verletzung, darüber vernimmt man all die Jahre (d.h. bis heute!) aus den Schweizer Mainstream-Medien nichts. Welches Motiv steckt hinter dieser Nicht-Information?
– von bluewin.ch erfährt man am 25.8.21, dass Alexei Nawalny angeblich „Staatsfernsehen schauen muss“. Aber welcher Art die Verletzung des Polizisten im Fall Kneubühl ist, darüber schweigen die regimetreuen Schweizer Medien seit 10 Jahren!
– Entscheidend ist die Wahrheit: Wenn Peter Hans Kneubühl einen Polizisten schwer verletzt hat (mit einschneidenden gesundheitlichen Folgeschäden für diesen), dann hat er dafür die volle Verantwortung zu tragen. In dem Fall ist auch die Strafe nachvollziehbar. Falls jedoch Schweizer Behörden und Medien wie in amerikanischen Krimiserien ein Polizei-Opfer konstruieren, das in der Art gar nicht existiert oder nie existiert hat, bloss um Kneubühl fest in der Hand zu haben, dann wäre dies wirklich ein Skandal.
– „Sensation“ („Amok-Rentner“) und Vorverurteilung (angebliche Geisteskrankheit) dominieren. Stereotypen werden abgehandelt. Das journalistische Niveau ist tief angesiedelt.
– Wenn das Schweizer System in Schwierigkeiten steckt, bedient es sich wie die ehemalige Sowjetunion der Psychiatrie.
– Der früher als Gerichtsgutachter tätige Psychiater Dr. Josef Sachs schätzte für die Schweizer Boulevardzeitung „Blick“ (Ausgabe vom 8.6.21) den angeblichen Geisteszustand von Kneubühl ein. Der „Blick“-Journalist hätte Dr. Sachs fragen können, ob er als Arzt nicht selber an einem Wahn (Allmachtswahn) leide, da er sich anmasse, über einen Mann (Kneubühl) zu urteilen, den er persönlich gar nicht kenne. Aber möglicherweise wäre unter derart kritischen, untypischen Einwänden Dr. Sachs nicht mehr bereit gewesen, dem „Blick“ ein Interview als „Fachperson“ zu geben.
Etwas irritiert hat mich der Satz von Dr. Sachs: „Woher der Wahn bei Herrn Kneubühl kommt, ist schwierig zu sagen, da ich ihn nicht persönlich kenne.“
Interessant ist ferner: Ob „Wahn“ oder „Nicht-Wahn“ muss gar nicht ehrlich und sauber abgeklärt werden, sondern steht schon zum Vornherein fest.
Wenn „Blick“-Leserkommentarschreiber das Interview mit dem erwähnten Psychiater locker zerpflücken können – wie glaubwürdig kann dann die betreffende Stellungnahme sein?
– Wenn jemand in Afghanistan verschleppt wird, wird das in den Mainstrem-Medien zum Topp-Thema. Wer erfährt aus denselben Schweizer Medien, in welcher Anstalt Peter Hans Kneubühl verwahrt wurde? Und wie es ihm dort (wahrheitsgemäss und nicht geschönt) geht?
– Sah hier das grossartige Schweizer System, das sich weltweit für die Einhaltung von Menschenrechten engagiert, nur noch die Möglichkeit, Kneubühl für geisteskrank zu erklären, damit dieser nicht mehr seine Rechte wahrnehmen kann und wehrlos ist?
– Wo sind in einem solchen Fall die bekannten Schweizer Strafverteidiger – z.B. Erni, Landmann etc. – geblieben?
– Kein Geld haben bedeutet Pflichtverteidigung. Hätte sich mit einem guten Verteidiger und anderen Gutachtern der Vorwurf der angeblichen Geisteskrankheit möglicherweise vorzeitig in Luft aufgelöst? Welches Problem hätten die Behörden damit gehabt?
– Stellt ein Mann mit 78 Jahren noch eine Bedrohung für die Gesellschaft dar? Oder ist das beschriebene System nicht die viel grössere Gefahr?
– Es gibt offenbar viele offene Fragen.
Wie anfangs erwähnt, habe ich mich mit Peter Hans Kneubühl nicht im Detail beschäftigt. Aber es würde mich nicht wundern, wenn nach dessen Tod plötzlich „grosse Aufarbeitung“ stattfindet wie das Schweiz-typisch in solchen Fällen gelegentlich passiert, sofern bereits genügend Involvierte (z.B. Richter, in vorliegendem Fall Psychiater usw.) verstorben sind. Andere Fälle lassen grüssen: Jean-Louis Jeanmaire, Meier 19 usw.
Es besteht jedoch auch die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die 5’000 Seiten von Kneubühls Texten der vergangenen Jahre (die der Wahrheitsfindung dienen würden) „verschwinden“ und Schweizer Behörden und Medien anschliessend verkünden, sie hätten „davon gar nichts gewusst“ und „gerne besser informiert“.
Manchmal ist das politische und behördliche Interesse an Aufarbeitung nicht sehr hoch. Wie z.B. im Falle der Zwangsarbeitsanstalt Kaltbach in Schwyz.
Aber dass Nawalny „Staatsfernsehen schauen muss“, das erfährt man in der Schweiz.
(Hinweis: Dieser Beitrag erschien am 26.8.21 erstmals auf Facebook.)