Aus dem Archiv









An einem Abend hatte ich “leichten Ausgang” – Öffnen der Zellentüre und Verweilen im Gang. Dabei wurde mir vom Gefängniswärter “Josef K. – König der Zechpreller” (Titel der Boulevardzeitung “Blick”) vorgestellt. Ein älterer Herr, dem Äusseren nach zu urteilen ein Geschäftsmann. Kathriner, ein Mann, der einfach durchs komplette System gefallen war, hatte zu der Zeit bereits über total 30 Jahre (!) in Schweizer Gefängnissen zugebracht. Dies wohlgemerkt ohne jemals einen Menschen umgebracht zu haben!
Verurteilt ständig wegen kleinen Delikten wie Zechprellerei, Auftreten unter falschem Namen als Arzt oder Pfarrer etc.
Ein talentierter Schauspieler, auf den die Leute en masse hereinflogen. Im Grunde aber tragisch: Ein Mensch, der total aus dem sozialen Auffangnetz geflogen war und schliesslich zum Opfer einer Schweizer Paragraphen- und Bürokraten-Justiz wurde. Ich kann mich noch gut erinnern, wie Kathriner von seiner Pritsche aus jeweils voller Freude die Kinder-Sendung “1, 2 oder 3” mit Michael Schanze schaute. Der kleine tragbare Schwarzweiss-Fernseher befand sich dabei auf der Sitzfläche von Kathriners Zellenstuhl. Es gab lediglich Antennenempfang. Eine kleine Freude in einer sonst wirklich dürftigen, freudlosen und engen Gefängniszelle. (Kathriners Zelle war wesentlich kleiner als die meinige.)
Erinnern kann ich mich noch an einen Besuch in Kathriners Zelle, als es plötzlich draussen lauten Sirenen-Alarm gab
“Hoffentlich marschieren die Russen ein…” war Kathriners spontane humorvolle Reaktion. Er hoffte, sie würden uns befreien… Positives? Das gab’s auch! Neben einem – wie sich aber erst mit der Zeit herausstellte (anfänglich war er sehr zurückhaltend und prüfte) – sehr flotten, aber strengen Gefängniswärter, gab’s zu der Zeit zum Glück eine hervorragende Gefängniskost von der Küche des Kollegi Schwyz.
Die Kollegi-Küche galt früher, als ich dort noch das Gymnasium absolvierte, als “chotzgrusig”
Wenn man mit dem Velo entlang des Kollegi-Nordteils fuhr, konnte man bloss noch die Luft anhalten, sonst wäre man vom Küchen-Gestank schier bewusstlos geworden.
Fuhr man mit dem Auto oben durch, musste man vorher prophylaktisch Fenster und Lüftung schliessen. Ein legendärer Interner meiner damaligen Klasse – Jürg Kaufmann (“Lumpi”) – berichtete Jahre später, eine heftige verbale Auseinandersetzung seinerseits mit dem damaligen (schlechten) Koch hätte anfangs der Achtzigerjahre beinahe in Mord und Totschlag geendet…
Ich selbst kann mich noch an einen kleinen Aufstand (war es in der 5. WG?) unserer Internen erinnern wegen der katastrophalen Kollegi-Küche. Zu Lynchjustiz kam es jedoch nicht, wobei ich in einem solchen Fall für das Handeln der internen Mitschüler wahrscheinlich Verständnis gehabt hätte…
Doch jetzt – November/Dezember 1988 – war alles völlig anders: Es gab eine total neue (saubere) Küche und einen frischen Koch, der sein Handwerk offensichtlich ausgezeichnet verstand
Ich erinnere mich noch an Kathriner, wie er an einem Sonntag das Mittagsmenü lobte: “In einem guten Restaurant würdest Du für dieses feine Steak mit Croquetes, Gemüse und Salat locker Fr. 30.- bis Fr. 40.- zahlen”, meinte er. “Und selbst die Küchen der meisten feinen und teuren Hotels sind nicht so gut wie dieser hervorragende Kollegi-Koch!” – Kathriner musste es als Restaurant und Hotel-Kenner ja wissen…
Weil ich damals schon einen geradezu übermenschlichen Appetit besass, …
… konnte dies auf Dauer auch dem Gefängniswärter nicht verborgen bleiben und er brachte mir in der Folge an einem Sonntagabend (zum Abendessen) eine riesige, noch fast volle Salatschüssel. Die anderen hätten nicht mehr essen wollen/können und er auch nicht. Also besorgte ich den Rest. Es war köstlich! Frischer Kopfsalat mit feiner französischer Haus-Dressing. Mmmmhhh!!! [Anmerkung der Mythen-Post: Obwohl Beeler sonst eher auf die italienische Küche steht.]
Letzteres, unvergesslich positive Erlebnis fand in der neu bezogenen Zelle 7 statt, die gegenüber den übrigen Zellen geradezu eine Luxus-Suite war
Hier konnte ich an Gefängnis-Samstagen und -Sonntagen viel schreiben und lesen, z.B. das zu der Zeit topaktuelle Buch von Michael Gorbatschow ‘Perestroika”‘ (durch die geschichtlichen Ereignisse bereits längst überholt). Weiter las ich ein schönes Buch über Johann Heinrich Pestalozzi sowie ein ebenfalls sehr schönes Kunstbuch mit Bildern von Salvador Dali.
In Knast-Zelle 3 hatte ich zuvor noch Gesetzestexte betr. Zivilschutzverweigerung studiert sowie Vorbereitungen für mein später erschienenes Taschenbuch ‘Gegen Militär- und ZS-Zwang’ getroffen
In der schönen Zelle 7 fing ich als ‘Berufsmasochist’ (Bezeichnung von Rolf Eichhorn, Muotathal) sogar irgendwie an, am Knastleben Gefallen zu finden. Wie erwähnt, konnte man (trotz Gitterstäben am Fenster) hervorragend studieren und die Zelle bot dank Südlage auch sehr viel Sonne (gutes Wetter als Voraussetzung. Ich erlebte dort einen absoluten, unvergesslich schönen Traumsonntag und fühlte mich an diesem Tag tausendmal glücklicher als ‘in Freiheit’). Dass das so positiv in Erinnerung ist, mag sicher (neben dem prächtigen Wetter, der guten Verpflegung, dem flottem Gefängniswärter und den interessanten Lektüre) auch daran liegen, dass die Knastzeit langsam aber sicher ihrem Ende zuging.
Als Dank räumte ich vor dem 24. Dezember 1988 Zelle 7 perfekt auf, mit Staubsauger und allem, was dazugehörte und wollte dem Gefängniswärter zu Weihnachten sogar ein kleines Geschenk machen, …
… welches er jedoch – Beamtenstatus – konsequent ablehnen musste und auch strikte dabei blieb.
Am Morgen des 24. Dezembers 1988 dann endlich frei!!! Ein unbeschreiblich herrliches Gefühl! Vielleicht bis heute der erste Wintermorgen, auf den ich mich so richtig freute und den ich trotz herrschender Dunkelheit und Kälte richtiggehend genoss.


Ein Kränzchen zu winden ist hier wiederum Untersuchungsrichter Norbert Gwerder, der sich für Beeler als Verurteilten einsetzte. Gwerder machte Landolt auch am Telefon klar, dass er Beeler NIE MEHR im Zivilschutz sehen werde, egal, mit was für Drohungen er käme! Anmerkung: Ein kleiner Fehler befindet sich oben rechts im Brief an Landolt (im Adresskopf). Landolt heisst nämlich nicht Eugen, sondern Emil. UR Gwerder passierte dieser unbedeutende Flüchtigkeitsfehler wohl deshalb, weil er anlässlich der untersuchungsrichterlichen Befragung beiläufig den Namen “Emil Landolt” erwähnte, der Name eines alten Zürcher Stadtpräsidenten, der früher weit über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt war.
Zitat Urs Beeler zu seinem damaligen Gefängniswärter Ernst Imfeld: “Sollten die [gemeint sind die Behörden] in Zukunft jemals wieder auf die Idee kommen, mich zum Zivilschutz oder sonst etwas zwingen zu wollen, dann komme ich halt wieder!” |