Inserat

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Aus dem Archiv

Couvert mit bestimmt unerfreulichem Inhalt. Poststempel 16.11.88.

 

Urs Beeler: „Ich erschien pünktlich und sehr gefasst. Erinnern kann ich mich noch an ein total verrauchtes Büro des Untersuchungsrichters. Wie sich erst später herausstellte, war ich dazumal wohl gerade erst der zweite Fall von Zivilschutzverweigerung im Kanton Schwyz. UR Gwerder blätterte im Gesetz. Er erinnerte mich in seiner ‚Vollstreckungsart‘ etwas an meinen unvergesslichen 5.-Klasse-Lehrer Ernst Trütsch im Herrengasse-Schulhaus. Atmosphäre der Befragung so irgendwie zwischen scharfrichterlichem Verhör gepaart mit oralem Galgenhumor. Bei Gwerder stand damals zwar kein ‚lic. jur.‘ oder ‚Dr. jur.‘ vor dem Namen, aber er ging die Sache professionell und vor allem zügig an (deshalb wahrscheinlich auch soviel Rauch…). Gwerder unterzog mich dann auch noch einer Gewissensprüfung, ob ich unser Land im Kriegsfall verteidigen würde. ‚Selbstverständlich‘ war meine Antwort, ‚aber niemals in einer auf Zwang basierenden Struktur wie das Militär oder der Zivilschutz, sondern als autonomer und freier Widerstandskämpfer.‘ Wenn ich daran festhalten würde, käme ich nicht um 30 Tage Gefängnis herum, meinte Gwerder. Das müsse ich halt als Preis für die Freiheit in Kauf nehmen. Ferner wies ich UR Gwerder darauf hin, dass es mich komisch dünke, dass ich zu 30 Tagen Gefängnis verurteilt werde, die Zementfabrik Hürlimann in Brunnen hingegen seit Jahren (Jahrzehnten!) straflos die Luft verpesten dürfe. ‚Die sollten mal dran kommen‘, sagte ich zu Gwerder. Aus dem betreffenden Industriekamin käme lediglich Wasserdampf (!), erklärte Gwerder. Klar: Wer so qualmt, dem konnte ein rauchendes Zementfabrikschlot gar nicht auffallen… Sonst verhielt sich Gwerder aber sehr korrekt, man könnte fast sagen: gut gesinnt. Beweis dafür ist das sehr zügige Verfahren, bei dem ich selber ’stramm wie ein Rekrut‘ mitwirkte…“

 

Das „scharfrichterliche“ Urteil. Staatslogik: Wer sich als freier Bürger nicht zum Zivilschutzdienst zwingen lässt, muss ins Gefängnis! Ulkig ist auch der Spruch mit der „Leistung für die Gemeinschaft“. Was ist das für eine „Gemeinschaft“, die Leute unter Strafandrohung zu etwas zwingt! Und dieses Verschulden wiegt dann auch noch „schwer“! – Währenddem bis heute in der Schweiz noch kein einziger Schweinemäster für das qualvolle und grausame Kastrieren männlicher Ferkel ohne Betäubung bestraft wurde! So funktioniert „Rechtsprechung“ in der Schweiz! Die 6 Tage Zivilschutz in den Jahren 1984-86 waren bereits 6 Tage zuviel!! Zivilschutz? Eine furchtbare Atmosphäre; apathische Kursteilnehmer; mit Gasmaske, Helm und blauen Übergwändli herumrennen; Atombombenexplosionen im Film; Betten zusammennageln und wieder auseinandernehmen; in Bunkern warten; auf Barren liegen und von Primitiven herumgetragen werden. Kurz: Ein völliger Schwachsinn, wo es nur eine einzige vernünftige Handlung gab/gibt: verweigern!

 

Die Rechnung vom 22. November 1988…

 

…welche umgehend einbezahlt wurde.

 

Versand am 23. November 1988.

 

Flott: Untersuchungsrichter Norbert Gwerder macht zügig vorwärts. Urs Beeler: „Dafür bin ich ihm heute noch dankbar!“

 

Riesenglück: An Weihnachten wieder auf freiem Fuss!

 

Weder Halb- noch Vollgefangenschaft ist etwas Schönes. Auch bei Halbgefangenschaft denkt man tagsüber an nichts anderes als den tristen Knast. Am Abend bei Dunkelheit und Kälte antreten und am Morgenfrüh wieder „verreisen“. Urs Beeler: „Ohne Mitnahme eines Schlafsackes und einer Luftmatratze hätte ich mir in Zelle 3 bestimmt Rheuma geholt. Denn es gab nicht einmal ein herkömmliches Bett, sondern nur einen Betonsockel als Liege. Eine Schwerverbrecherzelle! Zum Glück aber wurde warm genug geheizt. Die Heizung konnte man via einem Fenster-Hebelmechanismus (durch Luftzufuhr!) steuern. Als Decken gab’s alte (nicht gerade hautfreundliche) Militär(pferde)decken. Gewöhnungsbedürftig ist auch, dass Gefängniszellen nicht gross sind. Psychisch ist vor allem das Schliessen der Zellentüre ein elementares Ereignis. (> die Macht des Staates, Freiheit zu nehmen!) Als mir an einem Sonntagabend schier der Kragen platzte, stellte ich das in der Mauerzellenwand eingebaute Gefängnis-Radio an und hörte durch puren Zufall den damals gerade neu aufgekommenen Song eines Schwarzen mit sehr einprägsamer afro-amerikanischer Stimme: ‚Don’t worry, be happy!‘ Ich musste spontan laut herauslachen. Eine Szene, die mir bis heute unvergesslich ist.

 

An einem Abend hatte ich „leichten Ausgang“ – Öffnen der Zellentüre und Verweilen im Gang. Dabei wurde mir vom Gefängniswärter „Josef K. – König der Zechpreller“ (Titel  der Boulevardzeitung „Blick“) vorgestellt. Ein älterer Herr, dem Äusseren nach zu urteilen ein Geschäftsmann. Kathriner, ein Mann, der einfach durchs komplette System gefallen war, hatte zu der Zeit bereits über total 30 Jahre (!) in Schweizer Gefängnissen zugebracht. Dies wohlgemerkt ohne jemals einen Menschen umgebracht zu haben!

Verurteilt ständig wegen kleinen Delikten wie Zechprellerei, Auftreten unter falschem Namen als Arzt oder Pfarrer etc.
Ein talentierter Schauspieler, auf den die Leute en masse hereinflogen. Im Grunde aber tragisch: Ein Mensch, der total aus dem sozialen Auffangnetz geflogen war und schliesslich zum Opfer einer Schweizer Paragraphen- und Bürokraten-Justiz wurde. Ich kann mich noch gut erinnern, wie Kathriner von seiner Pritsche aus jeweils voller Freude die Kinder-Sendung „1, 2 oder 3“ mit Michael Schanze schaute. Der kleine tragbare Schwarzweiss-Fernseher befand sich dabei auf der Sitzfläche von Kathriners Zellenstuhl. Es gab lediglich Antennenempfang. Eine kleine Freude in einer sonst wirklich dürftigen, freudlosen und engen Gefängniszelle. (Kathriners Zelle war wesentlich kleiner als die meinige.)

Erinnern kann ich mich noch an einen Besuch in Kathriners Zelle, als es plötzlich draussen lauten Sirenen-Alarm gab
„Hoffentlich marschieren die Russen ein…“ war Kathriners spontane humorvolle Reaktion. Er hoffte, sie würden uns befreien… Positives? Das gab’s auch! Neben einem – wie sich aber erst mit der Zeit herausstellte (anfänglich war er sehr zurückhaltend und prüfte) – sehr flotten, aber strengen Gefängniswärter, gab’s zu der Zeit zum Glück eine hervorragende Gefängniskost von der Küche des Kollegi Schwyz.

Die Kollegi-Küche galt früher, als ich dort noch das Gymnasium absolvierte, als „chotzgrusig“
Wenn man mit dem Velo entlang des Kollegi-Nordteils fuhr, konnte man bloss noch die Luft anhalten, sonst wäre man vom Küchen-Gestank schier bewusstlos geworden.
Fuhr man mit dem Auto oben durch, musste man vorher prophylaktisch Fenster und Lüftung schliessen. Ein legendärer Interner meiner damaligen Klasse – Jürg Kaufmann („Lumpi“) – berichtete Jahre später, eine heftige verbale Auseinandersetzung seinerseits mit dem damaligen (schlechten) Koch hätte anfangs der Achtzigerjahre beinahe in Mord und Totschlag geendet…
Ich selbst kann mich noch an einen kleinen Aufstand (war es in der 5. WG?) unserer Internen erinnern wegen der katastrophalen Kollegi-Küche. Zu Lynchjustiz kam es jedoch nicht, wobei ich in einem solchen Fall für das Handeln der internen Mitschüler wahrscheinlich Verständnis gehabt hätte…

Doch jetzt – November/Dezember 1988 – war alles völlig anders: Es gab eine total neue (saubere) Küche und einen frischen Koch, der sein Handwerk offensichtlich ausgezeichnet verstand
Ich erinnere mich noch an Kathriner, wie er an einem Sonntag das Mittagsmenü lobte: „In einem guten Restaurant würdest Du für dieses feine Steak mit Croquetes, Gemüse und Salat locker Fr. 30.- bis Fr. 40.- zahlen“, meinte er. „Und selbst die Küchen der meisten feinen und teuren Hotels sind nicht so gut wie dieser hervorragende Kollegi-Koch!“ – Kathriner musste es als Restaurant und Hotel-Kenner ja wissen…

Weil ich damals schon einen geradezu übermenschlichen Appetit besass, …
… konnte dies auf Dauer auch dem Gefängniswärter nicht verborgen bleiben und er brachte mir in der Folge an einem Sonntagabend (zum Abendessen) eine riesige, noch fast volle Salatschüssel. Die anderen hätten nicht mehr essen wollen/können und er auch nicht. Also besorgte ich den Rest. Es war köstlich! Frischer Kopfsalat mit feiner französischer Haus-Dressing. Mmmmhhh!!! [Anmerkung der Mythen-Post: Obwohl Beeler sonst eher auf die italienische Küche steht.]

Letzteres, unvergesslich positive Erlebnis fand in der neu bezogenen Zelle 7 statt, die gegenüber den übrigen Zellen geradezu eine Luxus-Suite war
Hier konnte ich an Gefängnis-Samstagen und -Sonntagen viel schreiben und lesen, z.B. das zu der Zeit topaktuelle Buch von Michael Gorbatschow ‚Perestroika“‚ (durch die geschichtlichen Ereignisse bereits längst überholt). Weiter las ich ein schönes Buch über Johann Heinrich Pestalozzi sowie ein ebenfalls sehr schönes Kunstbuch mit Bildern von Salvador Dali.

In Knast-Zelle 3 hatte ich zuvor noch Gesetzestexte betr. Zivilschutzverweigerung studiert sowie Vorbereitungen für mein später erschienenes Taschenbuch ‚Gegen Militär- und ZS-Zwang‘ getroffen
In der schönen Zelle 7 fing ich als ‚Berufsmasochist‘ (Bezeichnung von Rolf Eichhorn, Muotathal) sogar irgendwie an, am Knastleben Gefallen zu finden. Wie erwähnt, konnte man (trotz Gitterstäben am Fenster) hervorragend studieren und die Zelle bot dank Südlage auch sehr viel Sonne (gutes Wetter als Voraussetzung. Ich erlebte dort einen absoluten, unvergesslich schönen Traumsonntag und fühlte mich an diesem Tag tausendmal glücklicher als ‚in Freiheit‘). Dass das so positiv in Erinnerung ist, mag sicher (neben dem prächtigen Wetter, der guten Verpflegung, dem flottem Gefängniswärter und den interessanten Lektüre) auch daran liegen, dass die Knastzeit langsam aber sicher ihrem Ende zuging.

Als Dank räumte ich vor dem 24. Dezember 1988 Zelle 7 perfekt auf, mit Staubsauger und allem, was dazugehörte und wollte dem Gefängniswärter zu Weihnachten sogar ein kleines Geschenk machen, …
… welches er jedoch – Beamtenstatus – konsequent ablehnen musste und auch strikte dabei blieb.

Am Morgen des 24. Dezembers 1988 dann endlich frei!!! Ein unbeschreiblich herrliches Gefühl! Vielleicht bis heute der erste Wintermorgen, auf den ich mich so richtig freute und den ich trotz herrschender Dunkelheit und Kälte richtiggehend genoss.

Ein Brief von Untersuchungsrichter Norbert Gwerder mit erfreulichem Inhalt. (Poststempel 25.11.88).

 

Urs Beeler: „Der damalige Ortschef Eugen Landolt (Lehrer- und Dutz-Kollege!) wollte mich partout nicht aus dem Schwyzer Zivilschutz gehen lassen und drohte mir am Telefon mit immer wieder neuen Verfahren und Strafen. Nach Landolt’s Willen wäre ich wohl jedes künftige Jahr mindestens für 30 Tage in den Knast gewandert oder als Alternative dazu gleich für ein paar Jahre… Noch selten hatte ich einen solchen geradezu furchteinflössenden Fanatiker erlebt. Für mich damals wie heute unerklärlich, weil sonst mit ‚Landolt‘ gut auszukommen war. Jedenfalls hatte ich bis dahin diesen Eindruck.“

 

Ein Kränzchen zu winden ist hier wiederum Untersuchungsrichter Norbert Gwerder, der sich für Beeler als Verurteilten einsetzte. Gwerder machte Landolt auch am Telefon klar, dass er Beeler NIE MEHR im Zivilschutz sehen werde, egal, mit was für Drohungen er käme! Anmerkung: Ein kleiner Fehler befindet sich oben rechts im Brief an Landolt (im Adresskopf). Landolt heisst nämlich nicht Emil, sondern Eugen. UR Gwerder passierte dieser unbedeutende Flüchtigkeitsfehler wohl deshalb, weil er anlässlich der untersuchungsrichterlichen Befragung beiläufig den Namen „Emil Landolt“ erwähnte, der Name eines alten Zürcher Stadtpräsidenten, der früher weit über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt war.

Zitat
Urs Beeler zu seinem damaligen Gefängniswärter Ernst Imfeld:
„Sollten die [gemeint sind die Behörden] in Zukunft jemals wieder auf die Idee kommen, mich zum Zivilschutz oder sonst etwas zwingen zu wollen, dann komme ich halt wieder!“

 

Urs Beeler

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