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„Doppelt oder nüüt“ an der Börse um die Jahrtausendwende

Anlageberater raten Klein-Investoren seit Jahren: „Setzen Sie auf Standardwerte!“ Im Normalfall funktioniert dieser Tip auch (einigermassen). Nicht so im Jahre 2000.

Geprügelte Leader
Seit Jahresende 1999 bis Ende September 2000 gaben die Titel des Software-Giganten Microsoft um minus 47,5% nach, die des führenden E-Commerce-Anbieters Amazon.com mussten denselben Abschlag hinnehmen. Die in den vergangenen Jahren gefeierten Internet-Lieblinge AOL und Yahoo verloren -29,4% resp. -55,5%.

Wenn angeblich sichere Anlagetips in die Hosen gehen
Im Dezember 1999 wurden von Börsengurus die Titel Lucent Technologies und Worldcom als heisse Favoriten gehandelt. Diese Aktien standen praktisch auf sämtlichen Empfehlungslisten. Lucent Technologies fielen um -58,5% und Worldcom um -45,3%. Bei beiden Titel handelt(e) es sich (Anmerkung der Redaktion: damals) grundsätzlich um fundamental solide Werte. Experten stehen vor einem Rätsel.

Zum Teil 90% Verlust bei Internet-Werten!
Der Einbruch der genannten Titel ist (Anmerkung der Redaktion: war damals) jedoch noch harmlos im Vergleich zu den Kursstürzen diverser Internetwerte.
Der Zürcher Anlagefachmann Chris Schaub legte mit einer Performance von weit über 100% beim Börsenspiel der F&W im Jahre 1999 einen Super-Ergebnis hin. Gespannt wartete man auf seine Top-Werte fürs Jahr 2000. Einer davon war NBC Internet. Bei rund 68$ im Dezember 1999 gekauft, waren die Titel Ende September 2000 noch schlaffe 6,75$ wert, gerade ein Zehntel! (Bis Januar 2001 halbierten sie sich auf rund 3$!)
Kaum besser erging es Bruno Hertig von Prudential. Seine At Home verloren innert 9 Monaten -66,7% und Compuware -76%! Hertigs The Gap fielen von 45$ auf 20$. (Solche Verluste können durchaus positiv sein, bringen sie so doch im Normalfall so manchen wieder vom hohen Ross herunter auf den Boden der Realität.)

Und die Schweiz?
Die Aktien der von „Cash TV“ hochgelobten Zuger Softwarefirma Fantastic verloren innert Monaten 90% ihres Werts.
„Nicht nur auf Technologie setzen, sondern auch Titel anderer Branchen ins Depot nehmen!“ raten deshalb Anlageberater.
Die Aktien des renommierten deutsch-amerikanischen Automobilherstellers Daimler-Chrysler verloren innerhalb von 9 Monaten -37,9%. Die seit Monaten (wenn nicht Jahren…) auf den Empfehlungslisten stehenden Titel Zürich-Allied (Versicherung) verzeichnen ein Minus von -10,9%, Roche Inhaber (Chemie) -32%.

Hat also die Börse plötzlich gekippt und es läuft alles nur noch abwärts?
Die im Januar 2000 als „spekulativ“ geltende amerikanische Ölservice-Firma Baker Hughes legte im Gegensatz dazu innerhalb von 9 Monaten um 92,5% zu. Die im B2B-Bereich tätigte Software-Firma Ariba erzielte gar ein Plus von 308%, die im Halbleiter-Bereich arbeitende Rambus fast 400%, die Biotechnologie-Firma Vertex 432,9%. Weitere Highflyers sind (waren): Adobe (+138,7%), Altera (+103,3%), Applied Micro Circuits (+236,3%), Check Point (+208,4%), Corning (+133,4%), Juniper Networks (+302,2%), PMC-Sierra (+183,4%), Siebel Systems (+177,3%).
Einige dieser Titel waren bereits zu Beginn des Jahres 2000 hoch bewertet. Nach dem Crash im April 2000 halbierten sich ein paar von ihnen. Bemerkenswert ist aber, wie rasch sich diese Titel – trotz hoher Bewertung – erholten und nach Monaten bereits wieder zu einem neuen Höhenflug ansetzten. (Anmerkung der Redaktion: Der grosse Kurseinbruch kam für viele erst später.)

Börsenkurse aus der „Finanz und Wirtschaft“.


Unklare Gesetzmässigkeiten
Die mit einem P/E von 736 hoch bewerteten Titel von Network Appliance fielen von über 110$ im März 2000 auf rund 40$ am 17. April. Im September 1999 kletterte dieselbe Aktie bis auf 148$!
CMGI erreichten ihr Hoch bei 163.15$; Ende September 2000 waren sie bei 28$ angelangt, im Januar 2001 schliesslich bei 5-6$.
Auch der PC-Direktverkäufer Dell, dessen Aktien bei 40$ als „billig“ und „sicherer Kauf“ gelten, kam im September 2000 unter die Räder. Innerhalb kürzester Zeit durchstiessen die Titel die 40$-Unterstützungslinie und sackten am 29.9.00 unter 30$ ab, zum Jahresende sogar unter 20$.

Woran soll sich der Anleger also halten?
Börsianer, die seit Jahrzehnten in diesem Business tätig sind, sind ratlos. Titel, die exorbitant hoch bewertet sind (z.B. Ariba, I2 Technologies), kletterten im August/September – trotz relativ schwachem bzw. rückgängigem Nasdaq-Index – weiter. Aktien erfolgreicher Firmen, die seit Jahren Gewinn erwirtschaften und auf dem Markt eine dominierende Stellung haben, stagnierten oder verloren sogar massiv (Microsoft, ATT, Lucent, Worldcom).
„Nur in Aktien investieren, die laufen. Dann ‚cool‘ dabei sein. Und wenn’s stagniert oder kehrt, sofort aussteigen“, rät ein Börsenkenner. „Titel erst nach einem Crash kaufen“,sagt ein anderer. Und ein Dritter: „Kursrückschläge im Oktober für Käufe nutzen.“
„Auch ich habe keine Glaskugel, mit deren Hilfe ich in die Zukunft sehen kann“,
meint Anlagespezialist Chris Schaub, Zürich. Und Walter Frommelt, Vice President von Salomon Smith Barney, Zürich, sagt zum Thema Aktieninvestment: „Es gibt keine hundertprozentig sichere Regel.“
Nach einem brillianten Januar 2000, einem Crash im daraufffolgenden April, einem eher lustlosen Sommer und einem düsteren Herbst erwarten viele Börsianer fürs Jahr 2001 höhere Kurse. In den kommenden Monaten werden wir mehr wissen…
[Anmerkung der Redaktion: Diese Hoffnung auf wiederum höhere Kurse wurde in den nachfolgenden Jahren zerschlagen.]

 

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