Vom Körperbau des Vogels
Kann man sich ein besseres Beispiel natürlicher Vollendung denken als den vollkommenen Flugapparat, den der Vogel hat?
Leichtbau
Sein biegsames, kräftiges Skelett hat zahlreiche luftgefüllte Hohlräume, besonders bei grossen Vögeln. So wiegen die Knochen eines 7 Kilogramm schweren Pelikans samt Schnabel, Schädel und Füssen nur 650 Gramm. Überdies sind im ganzen Vogelkörper Luftsäcke verteilt, die mit der Lunge in Verbindung stehen. Die Luftzirkulation in einem Vogel dient zugleich der Kühlung, indem sie überschüssige Wärme und Feuchtigkeit abführt, sowie dem raschen Austausch von Kohlendioxyd und Sauerstoff.
Dieses Kühlsystem ist alles andere als ein Luxus; es ist für den Hochleistungsmotor dieser Tiere absolut notwendig. Das Fliegen erfordert grössere Kraftanstrengungen als jede andere Art tierischer Fortbewegung. Deshalb muss das Herz eines Vogels viele Male pro Sekunde schlagen, und auch sein Atem geht entsprechend schnell. Wie jede hochtourige Maschine hat der Vogel eine hohe Betriebstemperatur: der Reiher 41 Grad, die Ente 42,8 Grad, der Mauersegler 44 Grad.
Hoher Treibstoffverbrauch
Wegen ihres hohen Treibstoffverbrauchs haben viele Vögel einen Kropf – eine sackartige Erweiterung der Speiseröhre -, in dem Nahrung gespeichert und nach und nach an Magen und Darm weitergegeben wird. Das Durchsatztempo in den Därmen ist schier unglaublich. So wurde von einem Rotkehlchenjungen berichtet, das am ersten Tag nach dem Schlüpfen Regenwürmer in einer Gesamtlänge von über vier Metern frass. Von jungen Krähen weiss man, dass sie an Nahrung täglich mehr als das eigene Körpergewicht verzehren.
Die mit diesem Vogeltreibstoff gespeisten Hauptflugmotoren sind die Brustmuskeln des Vogels. Der grössere von ihnen zieht den Flügel gegen die Luft nach unten, um Auf- und Vortrieb zu erzeugen; der kleinere bewegt den Flügel über ein raffiniertes, flaschenzugartiges Sehnensystem wieder nach oben. Die schwersten Muskeln sitzen also an der Unterseite des Vogels, damit der Apparat nicht oberlastig fliegt. So wie der Motor eines Kleinflugzeugs die Hälfte des Gesamtgewichts ausmachen kann, stellen die kräftigen Brustmuskeln einer Taube bis zur Hälfte ihres Körpergewichts.
Der Hals eines Vogels ist ein Extrem an Wirbelelastizität. Er lässt den Schnabel leicht an jeden Körperteil herankommen und hilft dem Vogel im Flug das Gleichgewicht halten. Selbst der gedrungene kleine Spatz hat doppelt so viele Halswirbel (14) wie die grösste Giraffe (7).
Charakteristisches Gefieder
Das hervorstehende Merkmal aller Vögel ist jedoch ihr Gefieder, das Leichtigkeit mit ausserordentlicher Festigkeit verbindet. Aus jedem Federschaft oder Kiel spriessen beiderseits Äste und bilden die bekannte Fahne der Konturfeder. Von jedem dieser Äste zweigen wiederum kleinere Ästchen ab, die sogenannten Strahlen, an denen winzige Häkchen sitzen. In ihrer Gesamtheit bilden sie ein kunstvoll verknüpftes Netz.
Wenn man die Fahne einer Feder auseinanderzuziehen versucht, leistet sie erstaunlichen Widerstand, denn die winzigen Häckchen wollen einander festhalten. Dennoch lässt sich die Feder erstaunlich gut reparieren. Man braucht nur die Äste wieder aneinanderzulegen und ein paarmal in Längsrichtung darüberzustreichen, schon haben sich genug Strahlen ineinander verhakt, um die Feder wieder funktionstüchtig zu machen – ein natürlicher Reissverschluss. Sowie eine Feder ausgewachsen ist, schliesst sich kurioserweise die Öffnung unten im Kiel; der Blutstrom versiegt, und die Feder ist von allem Leben abgeschnitten. Dennoch vergisst der Körper sie nicht; wenn sich bei einem lebenden Vogel eine Feder lockert, wächst an ihrer Stelle sofort eine neue.
Flugstudie
Im Flug schlagen Vogelflügel nicht einfach auf- und abwärts. Sie „rudern“ das Tier auch nicht voran. Zeitlupenaufnahmen zeigen, dass sie eher eine senkrecht zur Flugrichtung stehende Acht beschreiben. Ähnlich treibt ja auch ein Propeller ein Boot voran, indem er sich senkrecht zur Fahrtrichtung bewegt.
Der kraftvolle Abwärtsschlag ist zugleich ein Vorwärtsschlag, manchmal so ausgeprägt, dass die Flügel sich vor der Brust berühren. Das Federnetz ist so fein gewebt, dass kaum ein Luftmolekül hindurchgeht. Beim Aufwärtsschlag dagegen werden die Federn auseinandergedrückt wie die Latten einer Jalousie, um die Luft durchzulassen – einer der elegantesten und raffiniertesten Klappenmechanismen der Natur. Die verschiedenen Bewegungen überlappen sich und gehen ineinander über: Die „Handgelenke“ sind schon wieder halb oben, bevor die Flügelspitzen ganz unten sind, und die „Unterarme“ drücken schon wieder nach unten, während die Spitzen sich noch aufwärts bewegen.
Erstklassige Manöverierfähigkeit
Punkto Steuerung sind Vögel jedem Flugzeug klar überlegen; manche, wie Raben und Tauben, legen im Flug oft die Flügel an und drehen sich nur so zum Spass um ihre Längsachse, ohne dabei Flughöhe und -richtung zu ändern. Um vor der Landung die Fahrt zu verringern, spreizen Vögel als Landeklappen Schwanz und Flügel. Gänse und andere Vögel mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen steuern und bremsen auch mit den Füssen und unterstützen mit ihren langen Hälsen Steuerung und Flugstabilität. Der Schwanz dient hauptsächlich als Seiten- und Höhenruder. Manche Vögel mit entsprechend ausgebildeten Schwänzen können sogar Loopings drehen, auf dem Rücken fliegen oder in der Luft Saltos rückwärts schlagen. Ob zu einem Stab zusammengelegt, ob im Halbkreis zu einem Fächer gespreizt – in beliebigen Winkeln verstellt, erfüllt der Schwanz jede nur denkbare Funktion von der Leitflosse bis zum Fallschirm.
Hoher Energiebedarf beim Starten
Ein schwerer Vogel braucht zum Starten sehr viel Energie. So benötigt der Schwan eine regelrechte Startbahn und muss heftig mit den Flügeln schlagen, um die zum Abheben erforderliche Geschwindigkeit zu erreichen. Andere, wie das Blässhuhn, sind zwar leicht, aber „untermotorisiert“.
Alle grossen Vögel starten natürlich gegen den Wind, und zwar aus demselben Grund wie die Flugzeuge; wegen der höheren Luftgeschwindigkeit.
Massgebende Flügelform
Entscheidend für die Flugeigenschaften ist offenbar die Flügelform. Die Vögel haben wie die Flugzeugkonstrukteure zahlreiche Spezialformen entwickelt. Da gibt es die schmalen, spitz zulaufenden Flügel der schnellen und ausdauernden Flieger wie Falken, Schwalben, Mauersegler und Kolibris; dann die abgeknickten Flügel des Ziegenmelkers und anderer schneller Segler; die breiten, gefächerten Flügel der langsamen Segler wie der Bussarde; die kurzen, abgerundeten Flügel der wendigen Waldvögel wie Waldhühner, Wachteln, Sperlinge und Finken.
Möwen und Albatrosse haben auch schmale, spitze Flügel, die dem Langstreckenflug und dem Segeln über dem offenen Meer besonders angepasst sind. Der Albatros ist so für das Leben in der Luft konstruiert, dass er seine langen Schwingen nicht einmal im Seitengefieder unterbringt, wenn er auf dem Boden oder dem Wasser niedergegangen ist.
Die V-Formation
Wenn Vögel wandern, fliegen sie oft in V-Formation. Es wird vermutet, dass sie dies aus dem gleichen Grund tun wie Militärflugzeuge. Es ist die einfachste Art, dem Führenden zu folgen, ohne ihn aus den Augen zu verlieren oder in seine Luftwirbel zu geraten. Bei den Manövern dichter Schwärme von Tausenden kleiner Vögel sind jedoch ganz andere Fähigkeiten gefragt. Manchmal bewegt sich so ein Schwarm wie ein grosses Rad, indem die einzelnen Vögel wie Punkte auf der Felge nacheinander rhythmisch steigen und sinken. Einmal zieht der Schwarm dahin wie eine Kutsche auf der Landstrasse, dann wieder wälzt er sich mit träger Eleganz wie Seenebelschwaden in Lagen übereinander. Es ist ein faszinierendes Schauspiel!