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Interview aus dem Jahre 1992 mit Nationalrat Toni Dettling

Nationalrat Toni Dettling war 1992 der einzige eidgenössische Parlamentarier aus dem Kanton Schwyz, der sich gegen einen EWR-Beitritt unseres Landes aussprach. Die Mythen-Post besuchte damals Rechtsanwalt Toni Dettling in seinem Büro in Schwyz und befragte ihn zu seiner Haltung gegenüber dem EWR.

Herr Dettling, ist Ihnen der Entscheid gegen den EWR leicht gefallen?
Toni Dettling: Keineswegs. Ich war anfänglich für beide Optionen offen. Erst nach gründlichem Studium des ganzen Vertragswerkes samt dem „Kleingedruckten“ und nach Abwägen der Vor- und Nachteile habe ich nach den Sommerferien meine Position als EWR-Gegner festgelegt. Seither bin ich nicht zuletzt auch durch meine parlamentarische Tätigkeit und durch viele Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern in meiner Position noch bestärkt worden.

Warum sprechen Sie von einer falschen Weichenstellung?
Toni Dettling: Der Bundesrat hat in seinem Bericht über die europäische Integration mit aller Deutlichkeit gesagt, wohin der Europa-Zug führt, nämlich eindeutig in die EU. Ich zitiere wörtlich: „Schon bei der Abstimmung über den EWR muss jeder – ob Bürger, Unternehmer oder Angestellter – Gewissheit haben, dass das Ziel der schweizerischen Integrationspolitik der Beitritt zur EG ist…“ Zudem hat unsere Regierung den EWR mehrmals als optimales Trainingslager oder als Vorhof zur EU-Vollintegration bezeichnet. Konsequenterweise hat der Bundesrat denn auch bereits am 20. Mai 1992 ein Gesuch um Beitrittsverhandlungen zur EU in Brüssel gestellt, welches dort demnächst behandelt werden soll. Mit dem EWR stellen wir ohne Zweifel – und das schleckt keine Geiss weg – die Weichen in Richtung Vollbeitritt!

Was halten Sie denn von dem befürwortenden Argument, wonach EWR und EU zwei verschiedene Paar Stiefel sind?
Toni Dettling: Schlichtweg gar nichts! Wohl können Volk und Stände später über den EU-Vollbeitritt abstimmen. Auch können wir den EWR-Vertrag mit Zustimmung von Volk und Ständen wieder kündigen. Beides sind aber rein theoretische Möglichkeiten. Mit dem EWR stehen wir aufgrund der damit einhergehenden Rechtsvereinheitlichung bereits mit einem Bein in der EU. Ein Zurück wird es nicht mehr geben, würden wir uns doch sonst als „Rosinenpicker“ der (angeblichen) wirtschaftlichen Vorteile des EWR der berechtigten Kritik der EU-Länder aussetzen. Deshalb beurteilt selbst auch Brüssel den EWR als blosser Übergang zur EU. Kommt hinzu, dass unsere Mitverbündeten im EWR – nämlich Österreich, Schweden, Finnland und wohl auch Norwegen – so schnell als möglich einen EU-Vollbeitritt anstreben. Wir wären dann mit Island und möglicherweise Liechtenstein innert kurzer Zeit allein im EWR, eine verschwindende Zahl von Kleinstaaten also, für die Brüssel das dort ohnehin wenig beliebte „Sonderzüglein“ kaum mehr zulassen würde. Es gilt zu berücksichtigen, dass auch die EU den EWR unter Einhaltung einer Frist von 12 Monaten kündigen kann!

Aus welchen Gründen lehnen Sie den EU-Vollbeitritt ab?
Toni Dettling: Die zentralistisch und wenig demokratisch ausgerichtete EU würde unsere heutige Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung weitgehend auf den Kopf stellen. Nach den neuerdings bekräftigten Maastrichter-Beschlüssen hätten wir eine Währungsunion einzugehen und unseren harten Schweizerfranken aufzugeben. Auch wären wir in eine gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik eingebunden und müssten von unserem bewährten Grundsatz der Neutralität Abschied nehmen. Zudem könnten wir der gemeinsamen Steuerpolitik (EU-Mehrwertsteuersatz zurzeit mindestens 15%, WUST-Ansatz in der Schweiz gegenwärtig 6,2%) sowie der gemeinsamen Wirtschaftspolitik nicht entgehen. Gerade die Landwirtschaft würde schwer darunter leiden; ein grosses Bauernsterben würde einsetzen. Denn in der EU können bekanntlich nur Grossbetriebe überleben mit Massenproduktion ohne Rücksicht auf die Berglandschaft und auf ökologische Anforderungen. Etwas provokativ kann man sagen, dass der Kleinstaat Schweiz in Grosseuropa aufgehen würde.

Zurück zum EWR. Was halten Sie von seinen vielgepriesenen wettbewerbsrechtlichen und wirtschaftlichen Vorteilen?
Toni Dettling: Abgesehen davon, dass mit dem EWR die Weichen unumkehrbar hin zur EU gestellt werden, kann auch der EWR als solcher nicht überzeugen. Wir haben das Recht, das in Brüssel bereits gesetzt wurde (rund 16’000 Seiten) oder das dort inskünftig noch gesetzt wird, vorbehaltlos zu übernehmen, ohne dass wir eine echte partnerschaftliche Mitbestimmung haben. Was würden Sie denn beispielsweise sagen, wenn der Müller mit dem Meier einen Vertrag abschliesst, der Müller aber allein entscheidet, wie’s weitergeht?

Aber der EWR soll doch angeblich eine liberale Marktordnung bringen?
Toni Dettling: Ich meine gerade nicht. Wohl bringt der EWR den diskriminierungsfreien Zugang zum grossen Binnenmarkt für alle Vertragsstaaten und ihre Unternehmungen. Anderseits schreibt aber die EU unter dem Motto „gleich lange Spiesse“ fast in allen Bereichen vor, wie man an diesem Markt teilnehmen darf. Man nennt dies harmonisieren. In der Tat bedeutet es aber gleichschalten. Dieser Einheitsbrei reicht von der Äpfelnorm über den Krümmungsgrad der Gurken bis hin zu den Sturzbügelhaltern für Kleintraktoren.

Würde die Schweiz nicht vom grösseren Absatzgebiet und damit verbunden höherem Umsatz profitieren?
Toni Dettling: Es würde Gewinner und Verlierer geben. Zu den Gewinnern würden wohl die Grosskonzerne gehören, die mit genügend Interessenvertretern in Brüssel Einfluss nehmen könnten. Auf der Strecke blieben die Schwachen und die ohnehin schon benachteiligten Regionen: Ich zähle dazu vor allem das Mittel- und Kleingewerbe, aber auch Arbeiter und Angestellte, die einem wachsenden Lohndruck ausgesetzt sein würden. Daher ja auch bereits die Forderung nach Erlass von Vorschriften über Minimallöhne und Gesamtarbeitsverträge. Insgesamt lassen sich die (höchst) ungewissen Vorteile keinesfalls durch die erheblichen Nachteile der Fremdbestimmung und des Verlusts an Eigenständigkeit und Selbständigkeit aufwägen.

Wie soll es nach Ihrer Meinung ohne EWR oder EU in unserem Land weitergehen?
Toni Dettling: Unser Land hat es in der Vergangenheit vorab dank eigenen Anstrengungen zu höchstem Wohlstand für eine breite Bevölkerungsschicht gebracht. Dies verdanken wir hauptsächlich unserem Mut zur Eigenständigkeit, den stabilen politischen und freiheitlichen Verhältnissen, dem vorzüglichen Bildungssystem, unserem grossen Arbeitseinsatz und Sparwillen sowie unserer Weltoffenheit. Diese Eigenschaften gilt es mit dem uns eigenen Erfindungsgeist weiterzuentwickeln und alle diesbezüglichen innerstaatlichen Behinderungen und Schranken abzubauen. Aber auch nach aussen hin müssen wir uns nicht nur europa-, sondern vielmehr weltoffen geben. Es gilt den internationalen Handel offen zu pflegen, bilaterale Verträge zu schliessen und überall, wo es möglich ist, internationale Zusammenarbeit anzubieten. Dass es auch ohne EWR und EU geht, zeigt übrigens die Tatsache, dass heute der Export die eigentliche Stütze unserer Wirtschaft bildet, und dies ohne Einbindung in ein Wirtschaftsbündnis!
Besten Dank für dieses Gespräch!

[Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview erschien in Heft 11/1992]


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