Alt-Landamman Richard Camenzind, Gersau, über seinen kleinen Rebberg
Von Richard Camenzind
Gerade wie die Jungfrau zum Kind kam ich nicht zu den Reben. Schon mein Grossvater war ein passionierter Weintrinker und mässig, aber regelmässig, seine Devise. Als er um die 60 war, wollte seine Gesundheit nicht so richtig, weshalb er den Doktor aufsuchte. Stirnrunzelnd riet ihm dieser, künftig auf Wein und Stumpen zu verzichten, um zuerst gesund und dann alt zu werden. Weil man nach Grossvaters Meinung jedem Ratgeber immer nur die Hälfte glauben sollte, gab er das Rauchen auf. Den Wein aber trank er bis zwei Wochen vor seinem Tod. Er starb im 92. Lebensjahr.
Auch mein Vater trank gerne Wein, liess es dabei aber nicht bewenden und pflanzte Reben. Ich sehe sie heute noch, die grosse, schöne Pergola vor unserem Haus. Gesunde rote und weisse Trauben spornten unseren Ernteeifer an und mangels Presse blieb es meinem jüngsten Bruder Otto vorbehalten, mit nackten Füssen die Beeren zu zerquetschen. Der Most schmeckte trotzdem, der Wein aber fand den Zuspruch meines Vaters nicht, weshalb es später beim Sauser blieb. Mein Vater hat meine Winzerzeit leider nicht mehr erlebt.
Der Weg zum eigenen Rebstock
1985 baute ich mit meiner Frau und den beiden Kindern unser Haus „in der Gand“. Südlich anschliessend gibt es einen kleinen Hang. Dort liessen mich Mutter und Geschwister meinen Traum verwirklichen, den ich seit der Zeit der Pergola vor dem Vaterhaus träume: einmal meinen eigenen Wein zu trinken (natürlich nicht nur den eigenen!). Heute stehen auf knapp 120 m2 60 Rebstöcke und der 1991 ist bereits die vierte Ernte. Gut gelungen wie die drei zuvor.
Nun ist es aber nicht so, dass nach der Idee übers Jahr bereits der erste Wein im Fasse reift. 1985 ging ich daran, den Boden für den Rebbau vorzubereiten. Bereits der allererste Schritt ist ein sehr wichtiger. Ich schickte drei Hände voll Erde in die Eidg. Forschungsanstalt für Weinbau in Wädenswil und erbat die Mitteilung, mit welcher Traubensorte ich es auf Grund der Bodenbeschaffenheit aufnehmen sollte. Der Befund war allgemein günstig und die empfohlene Sorte der Riesling x Sylvaner (Müller Thurgau) auf der Unterlagshybride Riparia x Rupestris 3309 Couderc. Also begann ich im Schweisse meines Angesichts den Weinberg zu bestellen. Nachdem das Wiesland umgeackert und die gröbsten Steine entfernt waren, galt es die Frage ob Draht- oder Stickelbau zu klären. Ich entschied mich für den Drahtbau. Genau nach der Technik des „Weinbaus“ von Dr. Walter Eggenberger zeichnete ich die Rebzeilen in die Erde und setzte die Punkte für die Stöcke. Im Frühling 1986 bezog ich 55 veredelte Jährlinge von der Rebschule Anton Meier in Würenlingen. Der faszinierende Sprung von der Theorie zur Praxis war vollzogen. Und von nun an wuchsen die Reben froh der Sonne entgegen. Eine Ernte gab es im ersten Jahr noch keine, dafür hatte uns alle das Winzerfieber endgültig gepackt. Im Februar des kommenden Jahres kam es zum ersten Schnitt der alten Rebstauden (bereits zweijährige Reben wachsen jährlich bis zu drei Meter), eine delikate Arbeit, die gelernt sein will. Ich hatte sie leider nicht gelernt und machte prompt einen gravierenden Erziehungsfehler: weil ich zu lange Ruten beliess, missriet mir die Ausbildung eines schönen Stammes. Und weil ein Unheil selten alleine kommt, entschloss sich auch der falsche Mehltau, meine Winzergeduld auf die Probe zu stellen. Er befällt die Blätter und Gescheine (Fruchttriebe) und vernichtet einem unerfahrenen Winzergreenhorn wie mir die ganze, sehnlichst erwartete Ernte.
Ingenieurschule für Weinbau in Wädenswil besucht
Weil viele Menschen nur aus Fehlern lernen, beschloss ich, die bereits gemachten zu beherzigen und künftig möglichst keine mehr zu begehen. Ich meldete mich für den 1988er Rebbaukurs an der Ingenieurschule für Weinbau in Wädenswil an. Dieser Kurs ist in drei Teile gegliedert und überaus zu empfehlen. Die ersten drei Tage finden Mitte Februar statt. Während der Morgen jeweils dem theoretischen Fachwissen gewidmet ist, geht’s am Nachmittag in den Weinberg. Da lernen Winzerin und Winzer das Anlegen des Weinberges, die Bodenbearbeitung und den Rebschnitt. Drei weitere Tage im Juni sind der Pflege des Weinstocks und des Bodens in Theorie und Praxis reserviert, während die zwei letzten Tage anfangs Oktober den krönenden Abschluss bilden: ernten, abpressen, keltern. Wer den Kurs besucht hat, darf sich fortan Winzer nennen (andere tun es natürlich auch). Die Qualität des Weines ist wie die eines Spitzenweins, von denen wir im Juni-Kursteil ausgiebig kosten durften. Ein rechter Winzer muss schliesslich wissen, wie ein edler Tropfen auf dem Gaumen liegt.
Der Besuch des Rebbau-Kurses wirkte für den Weinberg und den Winzer wie eine Erlösung, denn von nun an ging’s nur noch aufwärts, buchstäblich. Ausser der Mühe mit der Stammbildung traten keine anderen mehr zutage und so durfte die ganze Familie am 6. Oktober 1988 die erste richtige Ernte erwarten. Weil ich inzwischen fünf Stöcke verloren hatte und andererseits nur auf Qualität setzte, gab’s mit 26 Kilo Traubengut eine kleine Ernte. Gespannt wartete auch Winzerkollege Paul Müller im Acher auf die Öchsle-Grade (Zuckergehalt), der sich freundschaftlich anerboten hatte, meine Ernte jetzt und künftig auf seiner Anlage abzupressen und zu keltern. Pauls Anerkennung war echt, als er meine 80,5 Öchsle verkündete. Und die Begeisterung die gleiche, als wir im April 1989 meinen ersten Wein verkosteten.
Im Frühling 1990 vergrösserte ich mein „Weinhügeli“ um 10 auf 60 Rebstöcke. Obwohl ich auch mit der roten Blauburgunder-Traube liebäugelte, blieb ich beim weissen Riesling x Sylvaner und pflanzte 10 Stöcke der von Anton Meier empfohlenen Unterlagshybride Berlandieri x Riparia SO 4, eine starkwüchsige Rebe mit schönem, grossen Behang. Die Riparia (Uferrebe), Rupestris (Felsenrebe) und die Berlandieri (Kalkrebe) sind wilde amerikanische Reben. Untereinander gekreuzt geben sie die reblaus-resistenten Unterlagen ab, auf die dann die europäischen Edelreben gepfropft werden. Diese Tatsache ist das Ergebnis der europäischen Reblaus-Epidemie, die in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die europäischen Weingärten fast vollständig ausrottete.
Hobby-Winzer sein heisst, sich der Natur (und dem Beruf) unterzuordnen. Die Natur schenkt uns nur, wenn wir sie nicht betrügen. Und sie schenkt nicht immer nach menschlicher Vorstellung. So brachte der Supersommer 1991 zwar eine gute, aber keine ausserordentliche Ernte, weil die Blütezeit im Juni kühl und nass war. Die Natur holt zwar später wieder auf, was sie früher vergeben hat, doch mehr will sie selten tun. Recht so. Genau so richtig wie die Tatsache, dass ich wegen meines beruflichen Engagements als Textilunternehmer 1989 eine Woche bis 10 Tage zu früh ernten musste, was sich dann in eher bescheidenen 68 Öchslegraden niederschlug. Niedergeschlagen war ich deshalb überhaupt nicht.
400 m2 für den Hobby-Winzer
Ein Wort zur Winzerei. Sie unterliegt in der Schweiz strengen Regeln, wenigstens, was die Anbaufläche betrifft. Der Hobby-Winzer darf seine Lust auf höchstens 400 m2 Weinbaufläche auslassen. Will er mehr bepflanzen, muss er in den Rebbau-Kataster aufgenommen werden. Weil auch beim Schweizer Wein teilweise Überproduktion herrscht, sind die Aufnahmekriterien streng. Und so kompliziert, dass jeder Hobby-Winzer wohl besser bei seiner flächenbeschränkten Liebhaberei bleibt. Und einen Qualitätswein produziert. Qualitätsweine aus dem Schweizer Rebbau haben keine Absatzsorgen, obschon sie teurer sind als die Masse. Die strengen Qualitätsregeln haben sich vor allem die Deutschschweizer Winzer selber gegeben, während im Wallis und in der Waadt zulange (und unterstützt durch einen falschen Rebbaubeschluss) der Quantität gehuldigt wurde.
Für den Hobby-Winzer steht immer nur die Güte im Vordergrund. Dies lässt sich anhand der Stunden belegen, die er im Weinberg verbringt. Es sind Stunden nicht der Mühe, sondern der Freude, der täglichen Freude, vor allem zwischen Austrieb und Ernte.
Fürwahr, es ist ein besonderes Hobby, im Schweisse des eigenen Angesichts den eigenen Wein bereiten zu dürfen. Hätte ich es nicht, ich würde es mir zulegen. Bestimmt!