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Aus einem Fax an den Verein gegen Tierfabriken (VgT), Tuttwil:

Sehr geehrter Herr Kessler
Dass Sie die Mästerei von M. (Vater) und B. (Sohn) F. in der Hausmatt observieren, bezeichne ich als Wahnsinns-Tat. Ich wollte gestern das Objekt von aussen fotografieren. Sie hätten den Empfang sehen sollen! Ich habe noch selten einen Menschen mit so hohem Adrenalinspiegel gesehen wie bei B. F. Ich musste wieder umkehren, ans Aussteigen war gar nicht zu denken.

XY aus B. warnte mich, dass das ganz gächschützige Typen seien
Er hatte recht.
Ich staune, dass Adrenalin-B. laut Telefonbuch verheiratet ist. Er soll 5 bis 6 noch kleine Kinder haben und im neuen Haus wohnen, erfuhr ich. Diese Kinder sind wirklich nicht zu beneiden. XY hat mir gesagt, dass er ungefähr vor einem Jahr im Schweinestall F. gewesen sei. Der Betrieb habe damals – soweit er es beurteilen könne – einen ordentlichen Eindruck gemacht. Er hätte auch schon sonntags F.’s Schweine im Freien gesehen. So wie „Terminator“-F. jedoch auf mich gewirkt hat, kann ich fast nicht glauben, dass es die Tiere dort gut haben.

F.’s Grundstück ist ein unwirklicher Ort
In „Spiegel-TV“-Manier würde ich den Landstrich parallel zur M. hinter der Zementfabrik als eine Art Todes-Zone darstellen: Ein deutscher Reporter befragt Anwohner, die über die Familie F. Bescheid wissen. Die Befragten getrauen sich jedoch nur anonym Auskunft zu geben (Gesichter nicht zu sehen, verzerrte Stimmen).
Spaziergänger seien von der Hausmatt nicht mehr zurückgekehrt.

Die Polizei getraue sich jedoch nicht, das Grundstück zu betreten. Gerüchte würden zirkulieren, dass Leichen in F.’s Garten vergraben worden seien. Niemand wisse aber Näheres. Filmtitel: „Hausmatt – Ort des Grauens“. Weiter: Auf Ortsplänen sei die Hausmatt gar nicht eingetragen.
F.’s Gesichtsausdruck verheisst nichts Gutes. „Diesem primitiven Kerl sein Hobby wird wahrscheinlich das Kastrieren von Ferkeln sein“, dachte ich spontan, als ich sein Face sah.

Dass Sie, Herr Kessler, Fotos von F.’s Mästerei machen, ist ein Wahnsinns-Ding!
Als ich XY nach der Hausmatt fragte, war in seiner Stimme sofort deutlich Angst auszumachen. „Hausmatt? Passen Sie da nur auf! Die F.’s sind eine spezielle Gattung, gächschützig… und einen scharfen Hund haben sie auch“.
Ich glaube, dass die meisten dortigen Bewohner sich nicht einmal vorstellen können, dass James Bond oder Superman sich getrauen würden, F.’s Schweinestall zu observieren. M.F. hat übrigens vor zwei oder drei Jahren einen Leserbrief im „Bote der Urschweiz“ geschrieben, in dem er Sie als „Gessler“ bezeichnete. Ich antwortete meinerseits mit einem Leserbrief, dass er offenbar Schillers Tell nicht richtig verstanden habe (Verwechslung der Darsteller).

Wenn F. seinen Schweinestall in den „VgT-Nachrichten“ sieht, wird er ausrasten (Sportmedizinisch wäre es interessant, in diesem Moment seine Werte erfassen zu können.) Bei M.F, recherchiert zu haben, wird hier in der Region für Aufsehen sorgen. „Um F.’s Schweinestall zu photografieren braucht es nicht nur viel Mut, sondern auch noch einen Schuss Wahnsinn“, wird es heissen.
Was irgendwie nicht zusammen passt: das friedlich wirkende neue Wohnhaus von B. zum „Ort des Grauens“. Wahrscheinlich nur zur Tarnung. Mich nähme es wunder, was für Handwerker an diesem Objekt gebaut haben. Wahrscheinlich wurde dieses Haus nie gebaut, sondern es stand eines Tages einfach da…
Warum B. immer so gereizt ist? Vielleicht habe ich eine mögliche Erklärung: Die Zementfabrik erzeugt selbst in der Nacht einen beträchtlichen Lärm. Ich glaube nicht, dass man in der Hausmatt gut schlafen kann, obwohl es dort sicher niemand zugeben würde. Die F.’s würden noch behaupten, gut zu schlafen, wenn in der Nacht Artilleriegranaten einschlagen: „Uns macht das nichts aus“.

Ich habe mir einen Plan ausgedacht, wie wir die Hausmatt erobern:
Warmer Spätsommerabend, 21.34 Uhr. Von der Wylenbrücke her startet Christina – als harmlose junge Velofahrerin getarnt – in Richtung Hausmatt. Zur selben Zeit arbeiten M. und B.F. noch an einem lecken Güllenfass. Weil es bereits dunkel ist, beleuchtet ein Scheinwerfer den Vorplatz. Sobald Christina in der Nähe der beiden Männer ankommt, zückt sie eine Maschinenpistole: „Hände hoch! Wo sind eure Schweine?“ Jetzt fällt das Zeichen. Der sich in der Dunkelheit ohne Licht fortbewegende VgT-Ford-Transit kommt von der Wylenbrücke her. (Das langsame Rollen auf der Kiesstrasse und das fast nicht wahrzunehmende Motorengeräusch wirken gespenstisch.) Mit dem VW-Bus wird die Hausmatt in Richtung Seewen abgeriegelt.

Jetzt sitzen die F.’s in der Falle!
„Die geografische Abgeschiedenheit, welche sie über Jahrzehnte schützte, wurde ihnen jetzt zum Verhängnis“ (Kommentar Spiegel-TV). Als Nebenszene könnte in Betracht gezogen werden: Orthodoxe Juden schlagen die Fenster des Schweinestalles ein, um gegen die Produktion von nicht koscherem Schweinefleisch ganz generell zu protestieren.
Freundliche Grüsse
Z.

 

Erwin Kessler antwortet

Sehr geehrter Herr Z,
ums Himmels Willen, lassen Sie die Finger von der Hausmatt und überlassen Sie das uns Profis. Cool bleiben, langfristig denken, keine gefährlichen Spontanaktionen!
Wie wäre es – ein tollkühner Plan, ganz im Stil von Robin Hood – , wenn Sie sich als Journalist bei F. einfach zu einem Besuch anmelden? Seine Reaktion gäbe zumindest Stoff für die Fortsetzung Ihrer Geschichte.
K.

 

Sehr geehrter Herr Kessler
Sie haben sicher recht, dass es besser ist, wenn ich mich bloss aufs Aufspüren von Objekten konzentriere. Ich verspreche Ihnen, meine Einzelaktionen sofort abzubrechen, obwohl im Prinzip jeder Stall kontrolliert werden müsste. Coolness bringt wahrscheinlich langfristig mehr.
Betreffend F. sehe ich schwarz: Eine Anfrage meinerseits würde ihn nur provozieren. Das wäre, wie wenn Sie ihn anrufen würden: „Hier Kessler, VgT. Kann ich bei Ihnen am Nachmittag einen Besuch machen?“ F. würde ausrasten! Er würde den Todesstreifen wahr machen, d.h. Wachttürme errichten und das ganze Gelände verminen und mit einem doppelten Elektro-Stacheldraht und Infrarot-Meldern ausstatten.
Spass beiseite: wer F. nicht schon mindestens 30 Jahre kennt, hat kaum eine Chance, bei der Hausmatt durchzukommen.
Neulich sah ich einen jugendlichen Mofa-Lenker, der das allgemeine Fahrverbot bei der Zementfabrik und alle Warnhinweise einfach ignorierte und schliesslich vorne beim LCP-Computerhuus an der Wylenstrasse 6 wohlbehalten wieder herausgekommen ist. Bei der Hausmatt dagegen, für die von der Seewenstrasse her kein Fahrverbot gilt, habe ich noch nie einen jungen Mofafahrer durchfahren sehen…
Z.

*

 

Entgegen allen Warnungen besucht Kessler den Ort des Grauens am hellichten Tag, und was niemand vermutet hätte, wird Wirklichkeit: Grosser VgT-Brunch bei M.F. in der Hausmatt. B. schenkt gut gelaunt frisch-gepressten Süssmost ein. Vater M. (mit frisch gebügeltem und gestärktem weissen Hemd, Hosenträgern und „Sunntigshosä“) schwingt das Tanzbein mit VgT-Aktivistinnen. Alle Tiere draussen auf der Wiese, spielende fröhliche Kinder, strahlende Gesichter überall. Die 100jährige Zementfabrik gegenüber wird eine Woche später stillgelegt. Die Hausmatt – eine Insel des Friedens und der Harmonie.
Nein, dieses Happy-End wurde leider nicht Wirklichkeit. Kessler machte zwar einen Versuch, die Hausmatt am hellichten Tag zu besuchen. Er schreibt F. folgenden Brief:

 

 

Tuttwil, den 23. August 1997

An Herrn M.F., Hausmattweg xy, B.

Sehr geehrter Herr F.,
man hat mir ein paar Bilder aus Ihrem Schweinestall zugespielt. Gleichzeitig wurde ich gewarnt, dass Sie ein völlig unzugänglicher, grimmiger und geradezu gefährlicher Mensch seien. Trotzdem mache ich den Versuch, Sie anzufragen, ob ich einmal bei Ihnen vorbeikommen und mit Ihnen Ihre Tierhaltung besichtigen und besprechen kann.
Mit freundlichen Grüssen
Erwin Kessler

 

*

Eine Woche lang grübelt M.F. darüber nach, ob und wie er den Brief beantworten solle. Erste Reaktion: nicht antworten, sofort Befestigungsanlagen verstärken. Dass aber schon Fotos vorhanden sind, verunsichert ihn. Tagelang ist der Brief das tägliche Thema gegenüber seinem Sohn. Dann kommt der schlaue F. zur Entscheidung. Ein Antwortbrief, in dem er sich als netter, friedfertiger Mensch darstellt und sich erstaunt darüber zeigt, dass ihn jemand als unzugänglichen, grimmigen Typ beschreibt. Unzugänglich zeigt er sich aber in der Sache trotzdem: den Vorschlag zur Besprechung seines Schweinestalles lehnt er kategorisch ab, nicht ohne zu versichern, er habe nichts zu verbergen, seine Stallungen seien „vom kantonalen Amt kontrolliert und als in Ordnung befunden“ worden. Sein Betrieb sei sogar als IP-Betrieb anerkannt. Dass die IP-Vorschriften nichts sagen über die Tierhaltung. sondern nur über den Pflanzenbau, verschweigt der schlaue F. Dagegen erinnerte er sich haargenau daran, dass sich im Jahre 1996 ein roter Porsche bis auf 50 Meter seinem Betrieb genähert habe, und behauptet kühn, dass das Kessler gewesen sei…

Da sind wir wieder bei der Unheimlichkeit dieses Ortes mit seinem Todesstreifen, wo jeder registriert wird, der sich auf 50 Meter nähert – ob mit fotografischem Gedächtnis oder einer lückenlosen Videoüberwachung, ist schwer auszumachen.

Die Geschichte endet vorläufig damit, dass aus geheimnisvollen Gründen das Geheimnis der Hausmatt bis heute nie ergründet wurde.

 

 

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