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Leben und Werk eines Künstlers

Edvard Munchs bekanntestes Bild: „Der Schrei“. (Das Original ist in Farbe)

„Die Lebensangst hat mich begleitet, seit ich denken kann“, hat Edvard Munch einmal geschrieben. Sein ganzes Leben war eine Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Aber gerade weil er innerlich so zerrissen war, sind die Bilder, die er auf die Landwand oder das Papier brachte, von seltener Einprägsamkeit.
Munch (sprich „Munk“) war ein Wegbereiter des Expressionismus, der durch Verzerrung und dramatische Behandlung von Form und Farbe eine Steigerung des Ausdrucks menschlicher Gefühle zu erreichen suchte. Er malte „die inneren Bilder der Seele, die Bilder auf der Rückseite meines Auges.“ Prägnant stellte er den psychischen Abstand zwischen Menschen dar – eine Person etwa im Profil gezeigt, während eine andere aus dem Bild herausstarrt. Um eine gefühlsbetonte Stimmung zu erzeugen, bediente er sich flammender Rot-, giftiger Grün- und mystischer Blautöne sowie makabrer dunkler Schatten. Er malte nicht nur auf Leinwand, sondern auch auf Holz und anderen Materialien und nahm als Pinsel, was gerade zur Hand war; manchmal trug er die Farbe auch einfach aus der Tube auf. Sein berühmtestes Bild „Der Schrei“ zeigt vor einem bedrohlichen Hintergrund aus blutroten Wolken eine gequälte, von Entsetzen gepackte Gestalt.
Als Munchs Bilder zu Beginn der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts in der Kunstwelt auftauchten, wurden sie belächelt. Heute widmet man ihnen nicht nur in Westeuropa, sondern auch in Russland, in Japan, Südamerika und den USA eigene Ausstellungen. Seine originellen Radierungen, Lithographien und Holzschnitte zählen zu den höchstbezahlten graphischen Schöpfungen der Moderne.

Kindheit
Edvard Munch wurde 1863 geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Christiania, dem heutigen Oslo, wo sein Vater sich als Arzt niedergelassen hatte. Mit noch nicht fünf Jahren verlor er seine Mutter, die an Tuberkulose erkrankt war. Der Junge fühlte sich verlassen; nur die innige Zuneigung seiner ältesten Schwester Sophie tröstete ihn. Der Vater verfiel einem religiösen Wahn. Als Edvard 13 war, fing auch Sophie zu husten und siechte dahin.
Das Thema Tod liess ihn nun nicht mehr los. Acht Jahre später begann der schüchterne und überempfindliche junge Künstler mit dem „Kranken Kind“. Ein Jahr arbeitete er an dem Gemälde. Mit einem Messer zerkratzte er die Oberfläche, schnitt tief in die Farben ein, als wollte er das Bild für seinen Gram büssen lassen. Als es 1886 in Christiania ausgestellt wurde, waren die Kritiker von dem Motiv angetan; doch sie rügten die Technik. Einer schrieb, das Bild sehe aus wie „Fischhaschee in Hummersauce“. Dennoch hat Munch das Kranke Kind noch fünfmal in Öl wiederholt, und die Radierungen und Lithographien nach dem Gemälde gehören zu seinen besten Arbeiten.
Die Zugehörigkeit zu einem Kreis radikaler Künstler und Schriftsteller, die dem Alkohol und der freien Liebe huldigten, konnte Munch nicht davon abhalten, unermüdlich zu arbeiten. Im April 1889 stellte er in der ersten Einzelausstellung eines norwegischen Künstlers 110 Gemälde zur Diskussion. „Ich will lebendige Menschen malen, die atmen und fühlen und leiden und lieben“, verkündete er. „Den Besuchern soll das Heilige daran bewusst werden, so dass sie wie in der Kirche den Hut abnehmen.“

Über Nacht berühmt
Stipendien ermöglichten es ihm, für drei Jahre auf Reisen zu gehen. In Paris wurde er von den lichtdurchfluteten, bunten Landschaften der Impressionisten und den kühn vereinfachten Figurenbildern Gaugins stark beeinflusst. In Deutschland lud ihn der Verein Berliner Künstler ein, seine Werke zu zeigen. Die Ausstellung umfasste 55 Gemälde und löste einen derartigen Skandal aus, dass sie nach einer Weile geschlossen wurde. „Diese Bilder haben mit Kunst wahrhaftig nichts zu tun“, ereiferte sich ein Berliner Kritiker. Doch die „Affäre Munch“ machte ihn über Nacht berühmt. Er liess sich in Berlin nieder und entwickelte hier die Idee zu einer Bilderreihe, die die Freuden und Leiden des Menschen in den verschiedenen Abschnitten seines Lebens darstellen sollte. Rund 30 Jahre hat ihn dieser „Lebensfries“ beschäftigt. Immer wieder arbeitete er neue Themen aus, und von vielen Bildern existieren mehrere Fassungen. Sie tragen Titel wie „Tanz des Lebens“, „Der Schrei“, „Der Kuss“ und „Der Tod und das Mädchen“.
Munch widerstrebte es, die Gemälde – seine „Kinder“ – auf den Markt zu bringen, und so wandte er sich der Druckgraphik zu. Ein Bild wie den „Kuss“ versuchte er zunächst in die Technik der Kaltnadelradierung zu übersetzen. Dann liess er ein Detail nach dem andern weg, und zuletzt wurde daraus ein Holzschnitt, in dem das Thema auf seinen Kern reduziert ist.
Fasziniert von den vielseitigen Techniken, mischte er sie sogar zuweilen und druckte auf ein und demselben Blatt zuerst vom Holzstock und dann vom Stein. Eine seiner bedeutenden Neuerungen war, dass er einen Weg zur Herstellung mehrfarbiger Holzschnitte in nur einem Druckgang fand. Lange hatte man in der Druckgraphik nichts als mechanische Reproduktion gesehen. Jetzt wurde sie zunehmend als autonomer Kunstzweig anerkannt.
Im Sommer kehrte Munch dem turbulenten Künstlerleben im Ausland stets den Rücken und zog sich in ein kleines Haus im friedlichen Aasgaardstrand im Oslofjord zurück. Die wellenförmige Küstenlinie des Dorfes kehrt in fast allen Freiluftszenen des „Lebensfrieses“ wieder. Aasgaardstrand ist auch die Kulisse eines seiner heitersten Bilder – der „Mädchen auf der Brücke“, von denen es zahlreiche Fassungen gibt. Das weisse Haus und die drei grossen Linden, die man im Hintergrund sieht, sind vom norwegischen Staat unter Denkmalschutz gestellt worden.

Wendepunkt
Doch für Munchs zerrissenes Gemüt gab es auf die Dauer keine Ruhe. Neue Ängste und Zwangsvorstellungen bedrängten ihn. Während er in Europa umherreiste und seine Werke ausstellte, wurde er immer abhängiger vom Alkohol. 1908 erlitt er einen schweren Nervenzusammenbruch und ging in eine Kopenhagener Klinik.
Mit seiner Entlassung acht Monate später setzte eine neue, optimistischere Periode seiner Kunst ein. Die norwegische Regierung hatte ihm den höchsten Orden des Landes, das Grosskreuz von St. Olav, verliehen. Nach und nach löste er sich vom hektischen Leben der Künstlerkreise und wurde in der stillen norwegischen Landschaft heimisch. Er begann mit der Arbeit an einer Reihe von Monumentalgemälden für die neue Aula der Osloer Universität. Generalthema ist der Durst des Menschen nach Wissen und Weisheit, und das grosse Mittelstück, Die Sonne, vibriert förmlich vor Wärme und Leuchtkraft.
Die letzten 28 Jahre seines Lebens verbrachte Munch auf dem Gut Ekely vor den Toren Oslos. Er hatte alle Bindungen gelöst und lebte hier fast wie ein Einsiedler. Von seinem malerischen Werk verkaufte er so wenig wie nur möglich; mit seinen Graphiken verdiente er so viel, dass es für seinen bescheidenen Lebensstil reichte. Er arbeitete unablässig weiter, und in dem recht verfallenen alten Haus wie in den Ateliers rundum stapelten sich, ungeordnet und teils unbeachtet, Leinwände und graphische Blätter.
Als er im Januar 1944 im Alter von 80 Jahren starb, erhielt die Stadt Oslo rund 1’100 Gemälde, 4’500 Zeichnungen und an die 18’000 Drucke – das wohl grösste Vermächtnis, das ein Künstler je seiner Heimat hinterlassen hat. Um es würdig unterzubringen, errichtete die Stadt das Munch-Museum, das 1963 eröffnet wurde. In ständig wechselnden Ausstellungen findet man hier viele der „Lebensfries“-Bilder, die entsprechend dem mutmasslichen Wunsch ihres Schöpfers nebeneinander aufgehängt sind.
Sein Leben ist in Büchern, einem packenden Ballett und einem preisgekrönten norwegischen Fernsehfilm dargestellt worden. Doch Munch hat nicht nur über 100 Portraits von sich in all seinen verschiedenen Stimmungen hinterlassen; er hat sein Leben auch selbst am besten gedeutet. „Kunst“, schrieb er, „wächst aus Freude und Leid, aber vor allem aus Leid. Meine Kunst hat meinem Leben einen Sinn gegeben. Durch sie habe ich das Licht gesucht und auch andern Licht bringen wollen.“

 

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