Ein Schweizer mit Zivilcourage
Gibt es in der Schweiz, wo vielerorts Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit vorherrschen, noch Menschen, die sich kompromisslos für eine gute und gerechte Sache einsetzen? Schon diese Frage mag heutzutage ungewöhnlich klingen.
Tell, Robin Hood, Superman – man kennt Helden nur noch aus Büchern und Filmen. Aber vereinzelt gibt es auch in der Realität Menschen, die so handeln, wie es echte menschliche Pflicht wäre. Der Ostschweizer Tierschützer Dr. Erwin Kessler ist eine solche Ausnahmeerscheinung. Er ist ein Mann, der nicht ob all dem Tierelend wie viele andere die Augen verschliesst und sagt „Man kann ja doch nichts machen“ – Kessler handelt.
Fragen an Tierschützer Erwin Kessler
Welches ist das Ziel Ihrer tierschutzpolitischen Arbeit?
Kessler: Ich habe eine klare Vorstellung und zwar die, die Tierquälerei abzuschaffen. Ich verbünde mich mit allen, die mir helfen, dieses Ziel zu erreichen.
Warum kümmern Sie sich um eine Sache, um die sich die Behörden zu kümmern hätten?
Kessler: Weil die Behörden diese Arbeit nicht machen. Sie muss aber getan werden.
Haben wir nicht gelernt, dass Beamte bei uns getreu handeln und unbestechlich sind?
Kessler: Das Gegenteil ist wahr. Und man kann nicht einfach sagen: Das geht mich nichts an. Es geht um leidende Lebewesen. Wenn sich die Menschheit kaputtmachen will, so soll sie doch! Aber hier geht es um Tiere, die wehrlos sind. Da kann man nicht sagen: Sie sind selber schuld. Das sind sie nicht. Wir sind die Schuldigen. Ich wollte schon aufgeben, ja, aber ich kann nicht. Ich lasse sie nicht im Stich.
Seit Jahren decken Sie Beispiele skandalöser Tierhaltung auf. Der Erfolg?
Kessler: Er besteht darin, dass es uns noch gibt. Die Lobby zählt ja zuerst mal darauf, dass man resigniert. Das ist ein typisch schweizerisches Verhaltensmuster. Es war in der Jurafrage so, im Kampf gegen die Atomkraftwerke war es so, und sogar beim Frauenstimmrecht war es so. Nur, wenn man hartnäckig dabei bleibt, passiert etwas in der Schweiz. Meine Kunst besteht darin, unser Anliegen lange genug zum nationalen Thema zu machen. Dann werden wir Erfolg haben.
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Kampf für eine gerechte Sache
Kessler weiss, dass der Kampf hart und langwierig ist. Da gibt es eine Agro-Lobby, die von den Behörden geschützt wird, eine dumpfe anonyme Masse, die der Tiertragödie gegenüber mehr oder weniger gleichgültig eingestellt ist. Das Thema ist unbequem – und weil die Leute ja nicht selber direkt betroffen sind, fehlt vielerorts der Wille, sich persönlich zu engagieren.
Doch trotz dieser widrigen Umstände geht Tierschützer Kessler seinen geraden Weg. Mit Erfolg: Keine andere Tierschutzorganisation kann eine solche Erfolgsbilanz aufweisen wie der Verein gegen Tierfabriken (VgT). Worauf ist dieser Erfolg zurückzuführen? Kessler ist mit seinen tierschutzpolitischen Forderungen im Recht. Aus der Tatsache, dass er für eine gerechte und gute Sache kämpft, resultiert eine ungeheure Energie und Entschlossenheit. Zu seiner Zivilcourage und Kompromisslosigkeit hinzu kommt eine Intelligenz und Argumentationsstärke, die seine Gegner regelmässig alt aussehen lässt.
Viele Anfeindungen
Weil Kessler im Recht ist, seine Forderungen sich nicht widerlegen lassen, versuchen seine Gegner ihn seit Jahren auf andere Art zu attackieren. Dazu gehört das systematische Totschweigen oder Diffamieren in bestimmten Medien, anonyme Drohungen usw. Auf dem Tiefpunkt seiner tierschutzpolitischen Tätigkeit, mitte März 1990, wurde sogar sein Haus belagert. Kessler „tauchte unter“ – nach Spanien.
Ein anderer hätte an diesem Punkt aufgegeben. Doch vom Exil zurückgekehrt, nahm der „Robin Hood der Tiere“ den Kampf für die gerechte Sache von Neuem auf.
Kessler zieht Fälle, wo das Tierschutzgesetz verletzt wurde, regelmässig bis vors Bundesgericht. Dabei spielt es keine Rolle, wie reich und mächtig die jeweilige Gegenpartei ist, ob es sich nun um den Besitzer einer Wachtelfabrik im Welschland, den Fürsten von Liechtenstein (Schweine-KZ in Österreich) oder den Weltkonzern Mc Donald’s handelt.
Hart ins Gericht geht Kessler auch mit denjenigen Tierschutzorganisationen, die bloss Mitgliederbeiträge kassieren, aber nichts oder nur sehr wenig zum echten Schutz der Tiere leisten.
Zitat zum Thema
„Grausamkeit gegen die Tiere ist eines der kennzeichnendsten Laster eines niedren und unedlen Volkes. Sie ist ein sicheres Zeichen der Unwissenheit und Rohheit und kann auch durch alle Zeichen des Reichtums und der Pracht nicht übertüncht werden.“
Alexander von Humboldt
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Persönlich
Name: Erwin Kessler
Jahrgang: 1944
Zivilstand: verheiratet, vier Kinder
Augen: braun
Haare: braun
Grösse: 180 cm
Gewicht: 80 kg
Liebste Speisen: süsse Früchte
Liebstes Gericht: Götterspeise
Was er nicht isst: Fleisch
Bevorzugtes Getränk: Milch
Musik, die er besonders mag: Bach, Beethoven, Haydn
Bevorzugter Lesestoff: naturwissenschaftliche Bücher
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Tierschutz-Erfolgsbilanz des VgT (ein Auszug)
Wie ein Kaufmann über seine Geschäftstätigkeit mit einer Bilanz und Erfolgsrechnung Auskunft gibt, so führt der Verein gegen Tierfabriken Buch über seine tierschutzpolitische Arbeit. Im folgenden einige Beispiele:
- Landwirtschaftsschule Arenenberg TG: tierfreundlich umgebaut
- Gutsbetrieb der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen TG: neuer, tierfeundlicher Zuchtstall
- Landwirtschaftsschule Willisau LU: neuer, tierfreundlicher Schweinestall
- Psychiatrische Klinik St. Urban LU: Stillegung der Schweinezucht Berghof
- Strafanstalt Witzwil BE: jetzt Freilandschweine
- Kloster Notkersegg St. Gallen: umgebaut
- Strafanstalt Saxerriet SG: umgebaut
- Psychiatrische Klinik Wil SG. Verbesserung Galtsauenhaltung durch überdeckten Auslauf mit Einstreu
- Jugendheim Platanenhof, Uzwil SG: Kastenstände für Schweine abgeschafft, ferner haben die Schweine jetzt Einstreu
- Landwirtschaftsschule Visp VS: umgebaut, Kastenstände abgeschafft
- Haus der Stille, Kappeln am Albis ZH: Schweinestall stillgelegt
- Schwesternheim St. Elisabeth, Zuchwil SO: Umbau des Schweinestalls
- Psychiatrische Klinik Hohenegg, Meilen ZH: Umbau Rindermaststall
- Missionshaus Immensee SZ: Umbau des Schweinestalls
- Landwirtschaftsschule Strickhof ZH: Kühe werden jetzt geweidet und die Mastrinder haben Auslauf
- Stadtzürcher Gutsbetrieb Juchhof (Agri-Natura-Betrieb): Ersatz der Kastenstände im Abferkelstall durch Schmid-Freilaufbuchten.
- Das Gespräch – der „sanfte Weg“ – bleibt leider in den meisten Fällen erfolglos
Ohne öffentliche Konfrontation, auf direkte Intervention des VgT hin, das heisst im Gespräch, hatte nur der folgende Betrieb seine Tierhaltung verbessert:
- Strafanstalt Wauwiler Moos LU: Rinder- und Schweinestall tierfreundlich umgebaut.
- Weiter kann der Verein gegen Tierfabriken auch in der privaten Tierhaltung unzählige Erfolge verbuchen.
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Fleischkonsum – Massentierhaltung: Die Frage nach der menschlichen Verantwortung
Der Konsum von Fleisch ist in den meisten Schweizer Familien eine Selbstverständlichkeit. Man isst Fleisch, so wie man auch Brot, Teigwaren, Käse usw. zu sich nimmt. Wohl kaum einer fragt sich bei Tisch, wo denn die Salami, der Aufschnitt, das Steak usw. herkommt. Die Speisen sind einfach da.Das Problem der Abhängigkeit
Wie bzw. unter welchen Bedingungen nun z.B. Milch produziert wird, darüber weiss der Kunde im Supermarkt nichts. Er sieht einfach die 1-l-Tetrapackung. Die Situation ist vergleichbar, wie wenn jemand bei einem Grossverteiler ein Hemd kauft. Er kann vielleicht auf der Verpackung nachlesen, dass das betreffende Produkt in China oder Indien hergestellt wurde. Unter welchen Bedingungen und zu welchem Lohn das Hemd produziert worden ist, davon erfährt er nichts. Der Unterschied zwischen diesen zwei Beispielen ist: die Kuh kann die Verhältnisse, unter denen sie die Milch produziert, nicht verändern. Sie sind vom Menschen vorgegeben. Dagegen haben Fabrikarbeiter in China oder Indien selber die Möglichkeit, die Produktionsverhältnisse zu verbessern.
Weil in unserem Beispiel das Nutztier vom Menschen abhängig ist, kommt dem Halter eine Verantwortung zu. Diese Verantwortung in der Tierhaltung wird jedoch leider vielerorts noch heute nicht wahrgenommen. Es existieren schlimme Tier-KZ’s, in denen Lebewesen ihr ganzes Leben bis zur Schlachtung leiden müssen.
Mensch und Tier haben denselben biologischen Ursprung
Ab und zu hört man etwa den Einwand: „…aber es sind ja nur Tiere, nicht Menschen.“ Dazu folgendes: Wenn man die Evolutionsgeschichte verfolgt, stellt man fest, dass „Mensch“ und „Tier“ evolutionsgeschichtlich auf denselben biologischen Ursprung zurückgehen, sich aber im Laufe der Zeit unterschiedlich entwickelt haben. Der Umstand, dass der Mensch heute Maschinen bauen kann, ändert nichts an der Tatsache, dass er in seinen biologischen Funktionen ein Tier geblieben ist. Der Mensch brüstet sich zwar immer wieder mit seinem Verstand, seinen „kulturellen Leistungen“. Tatsache ist aber auch, dass keine andere Gattung auf dieser Erde soviel Elend und Katastrophen produziert hat wie der Mensch.
Tierfabriken – eine Tragödie
Eine solche von skrupellosen Menschen inszenierte Tragödie ist die industrielle Massentierhaltung. Hier setzt Tierschützer Kessler mit seiner Arbeit an. Er deckt auf, unter welchen Bedingungen Tiere gehalten werden, wie gewerbsmässige Tierquäler von Behörden in Schutz genommen werden usw.
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Untätige Behörden – Kessler handelt
Es ist ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat Schweiz, dass die Behörden punkto Tierschutz weitherum untätig sind und es zuerst eine private Tierschutz-Organisation braucht, die dafür sorgt, dass das Tierschutzgesetz vollzogen wird. Die Erfahrungen zeigen auch hier – wie beim Umweltschutz – dass die Impulse von engagierten Privaten ausgehen muss, damit sich etwas zum Positiven verändert.
Ein Fall-Beispiel: Schweine-KZ im St. Galler Rheintal – vom Kantonstierarzt gedeckt
In Salez im St. Galler Rheintal entdeckte Erwin Kessler aufgrund von Hinweisen aus der Nachbarschaft ein entsetzliches Tier-KZ: Hunderte von Mutterschweinen waren hier lebenslänglich bewegungslos fixiert. In den Kastenständen waren sie zusätzlich mit Brustgurten, die ins Fleisch einschnitten und einen permanenten Juckreiz auslösen mussten, am Boden festgemacht (vgl. Abb. S. 81 oben im Buch „Tierfabriken in der Schweiz“). Im ganzen Betrieb kein einziger Strohhalm, auch in den Abferkelbuchten nicht. Der Boden war so glitschig, dass die Tiere zwischen den Stahlstangen nur mit grösster Mühe aufstehen und abliegen konnten. Durch ein aufgebrochenes Fenster gefilmte Aufnahmen zeigen, wie ein Muttertier mit gespreizten, gegen die Stahlstangen gedrückten, vibrierenden Beinen versucht aufzustehen. Eine Anzeige beim Veterinäramt bewirkte nur eine einzige Veränderung: Um das KZ wurde ein hoher Maschendrahtzaun errichtet. Eine Aufsichtsbeschwerde an die Rechtspflegekommission des Grossen Rates wurde als haltlos zurückgewiesen.
Haarsträubend , geradezu unfassbar an diesem Beispiel war, wie mit wahnwitzigen, im Widerspruch zur gesamten Fachliteratur stehenden Behauptungen eines korrupten Kantonstierarztes sämtliche eidgenössischen Tierschutzvorschriften ausser Kraft gesetzt werden konnten und dies von den Aufsichtsinstanzen des Bundes und des katholisch-christlichen Kantons St. Gallen gedeckt wurde: Auch das Bundesamt für Veterinärwesen schritt auf Beschwerde hin nicht ein. Eine Strafanzeige gegen die Beamten, welche diese Missstände deckten, wurde von der St. Galler Anklagekammer wie üblich als haltlos abgewiesen. Nachdem dieser Fall vom VgT jahrelang immer wieder erneut aufgewärmt und in die Medien gebracht wurde, veranlasste das Veterinäramt schliesslich still und leise die Sanierung dieses Tier-KZ. |
Das Buch zum Thema:
Tierfabriken in der Schweiz
Fakten und Hintergründe eines Dramas, 240 Seiten, Fr. 39.80
Orell Füssli Verlag, Zürich
ISBN 3 280 02069 7
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Tierschutz